Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
fest.
»Weil sie Unglück bringen.«
»Das hat sich ein Mann ausgedacht«, behauptete sie.
»Warum willst du nach London?«
»Das will ich nicht. Ich habe für die Saison angeheuert und bin vor ein paar Wochen in Riga an Bord gegangen. London ist nicht mein letzter Halt.«
»Wo willst du hin?«
»Das brauchst du nicht zu wissen, Nik.«
Er zögerte. »Warum?«
Sie schüttelte den Kopf.
Nik zuckte mit den Schultern und ging zur Leiter.
»Nik?«, rief sie ihn zurück.
Er drehte sich um.
»Wirst du mich verraten?«
»Nein, ich lasse es darauf ankommen.«
»Worauf?«
»Auf die Sache mit dem Unglück.« Er grinste und kletterte dann die Leiter wieder nach oben.
Am nächsten Morgen klarte es auf. Nik beobachtete die Kirchen und die verschieden hohen Dünen an Land, die ihnen verrieten, ob sie noch auf dem richtigen Kurs waren.
Alexej legte ihm die Hand auf die Schulter. »Willst du etwas über die Seefahrt lernen?«
Nik drehte sich um und beugte sich zu ihr herüber, bis sein Mund dicht an ihrem Ohr war. »Ja. Wie ist dein richtiger Name?«
Sie stieß ihn mit einem Lächeln zurück. »Nenn mich Alexej und komm mit auf das Oberdeck.«
Er folgte ihr die Leiter vom Vorderdeck hinunter und trat neben sie an die Reling.
Weit über ihnen kletterte Levi die Takelage hinauf, um ein Segel einzuholen, das genäht werden musste.
»Das ist ein Relingslog«, sagte Alexej und gab Nik ein Stück Holz. »Wirf es ins Wasser, wenn ich es dir sage.«
Sie deutete auf den vorderen Mast. »Dort ist eine Kerbe in der Reling. Wenn das Holz an der Kerbe vorbeischwimmt, sag mir Bescheid.«
Nik runzelte die Stirn. Machte sie sich über ihn lustig?
Alexej zog eine kleine Sanduhr aus ihrem Hemd und nickte ihm zu.
Er sah zu, wie das Holz weit unter ihm in die Wellen tauchte, und lief dann zum vorderen Mast, um die Kerbe zu suchen. »Da ist es«, rief er fröhlich und hob triumphierend die Faust. Alexej lachte und schlug sofort die Hand vor den Mund, damit die anderen es nicht bemerkten. Sie wollte ihren brummeligen Ruf wohl nicht verlieren. Nik schmunzelte.
Er sah zu Levi hinauf und fragte sich, was er heute noch lernen konnte, doch Alexej rief ihn zu sich, als er sich aufmachte, um eine neue Aufgabe zu suchen.
»Du bist noch nicht fertig, Nik.«
Er schlenderte auf sie zu. Sie deutete auf die Sanduhr und erklärte ihm, wie viel Sand hindurchgelaufen war, als das Holz seinen Weg von Kerbe zu Kerbe zurückgelegt hatte. Dann zog sie eine Tabaksdose hervor und gab sie ihm.
Nik betrachtete die Tabelle auf ihrem Deckel. Es dauerte nicht lange, bis er sie lesen konnte. Zusammen errechneten sie, wie schnell die Saint George unterwegs war. Nik lächelte stolz. Davon war in keinem seiner Abenteuerbücher die Rede gewesen!
Am nächsten Tag durfte er selbst die Zahlen in das Logbuch eintragen und Nik war ganz außer sich vor Freude. Die Offiziere lachten über ihn und seine Begeisterung, aber es kümmerte ihn nicht. Er konnte sein Glück nicht fassen. All die Zahlen, die er im letzten Jahr in die Bücher geschrieben hatte, bedeuteten nur die Anzahl der Pfeffersäcke, die gebracht und wieder abgeholt worden waren. Doch hier durfte er Zahlen aufschreiben, die von der Geschwindigkeit des Schiffes erzählten, dem Stand der Sonne und der Tiefe des Meeres.
Alexej zeigte ihm die Seefahrtsbeschreibungen und erklärte, wie er mit dem Senkblei in der Dunkelheit die Nähe zum Ufer messen konnte.
Es war eine schöne neue Welt auf der Saint George , wie Nik sie sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hatte. So verging Tag um Tag. Die Gedanken an Luuk und die Gespräche der geheimnisvollen Gilde verblassten wie Erinnerungen an längst vergessene Zeiten.
Nik ging den Männern aus dem Weg, die zu viel Rum tranken, und unterhielt den Koch mit Klatsch vom Deck, um ein paar geräucherte Würste zu ergattern. Abends spielte er mit Alexej auf einem kleinen hölzernen Brett Dame . Den Rest des Tages bemühte sie sich jedoch, ihn recht mürrisch und unwirsch zu behandeln.
Als England in Sicht kam, wurde Nik das Herz schwer. Er kletterte in die Takelage und sah zu, wie das Land immer näher kam und sich die winzigen Flecken zu Wäldern, Dünen und Felsen emporhoben. Sehnlichst wünschte er, ein Sturm würde aufkommen und sie zurück auf das Meer blasen.
Sie lagen zwei Tage vor der Mündung in der Themse, bis der Wind gut stand, und segelten dann auf den Londoner Hafen zu.
Die Küste lag hinter einem grauen Schleier. Feiner Nieselregen setzte
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