Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Nach acht Umdrehungen der Sanduhr schlug er gegen die Glocke, um den Wachwechsel anzukündigen.
Nik schlief in seiner Hängematte tief und traumlos und schon am zweiten Tag steckte ihm nichts mehr von der Anstrengung der letzten Tage in den Knochen. Der Plan, zusammen mit Benthe die Geheimnisse der Gilde aufzudecken, und die Erinnerung an die traurigen Monate im Haus seiner Eltern schienen mit Amsterdam in der Ferne zu verschwinden.
Am dritten Tag lösten sich die Wundpflaster von seinen Händen und Knien und Nik kletterte mit den anderen Jungen in die Takelage, um wegen des aufkommenden Sturmes die Segel zu reffen. Der salzige Wind blies ihm kräftig ins Gesicht und schlug sein Hemd laut flatternd gegen den Bauch. Levi rief ihm etwas zu, doch er hörte es nicht. Er schloss die Augen und genoss es, weit über dem Deck dem Himmel und dem Meer endlich nahe zu sein.
Als er wieder nach unten geklettert war, setzte Nik die Erkundung der Lagerräume fort, die er am Abend zuvor begonnen hatte.
Er stieg die Treppe hinunter und streckte die Hände zu beiden Seiten aus. Taumelnd stapfte er durch den engen Gang. Das Schiff rollte im Wind von einer Seite auf die andere.
Am Ende stand eine Leiter, über die Nik in den hinteren Lagerraum gelangte. Drei Reihen Fässer lagen dort übereinandergestapelt und waren mit Keilen gesichert. Sie füllten mehr als die Hälfte des niedrigen Decks und verbreiteten den klebrigen Geruch von Teer und Pech.
Daneben standen einige Kisten. Nik schloss die Augen und atmete tief ein. Es roch nach Zitrone. Dann schlug er die Lider wieder auf. Das machte keinen Sinn, denn hier unten wurden keine Lebensmittel gelagert. Plötzlich raschelte es hinter einer Kiste. Nik stöhnte. Überall auf dem Schiff verbargen sich Ratten. Er drehte sich um, entdeckte aber nichts, womit er sie fangen oder erschlagen konnte, und ging zurück zur Leiter. Wieder raschelte es und jemand nieste.
Nik blieb stehen. Er ging langsam auf die erste Kiste zu und beugte sich darüber. Dahinter hockte eine junge Frau und hielt sich die Nase zu. In der anderen Hand hielt sie einen tropfenden Lappen und eine Zitrone. Ihre Haut glänzte feucht. Sie hatte sich hier unten heimlich gewaschen und mit dem Zitronensaft Dreck und Schweiß von der Haut gerubbelt. Nik runzelte die Stirn. Wenn Frauen sich auf Schiffe schlichen, bedeutete das Ärger. Er räusperte sich.
Die Frau schrak hoch. Das Gesicht kam Nik eigenartig vertraut vor. Es war genau wie die Hände von der Sonne gebräunt und bildete zusammen mit dem schwarzen Haar einen eigenartigen Kontrast zu der weißen Haut an Hals und Armen, die sonst von Kleidung verborgen war.
»Wirst du mich verraten, Nicolaas?«, fragte sie und kniff die Augen zusammen.
»Woher kennst du meinen Namen?« Nik wich einen Schritt zurück.
Die Frau lachte. Nik verstand nicht, was sie amüsierte. Er stemmte die Hände in die Hüften. Wusste sie nicht, in welcher Gefahr sie sich befand? In seinen Büchern waren die Seeleute nicht zimperlich und warfen die Frauen über die Reling, weil man sie für jedes Missgeschick an Bord verantwortlich machte.
Doch sie erhob sich langsam und anmutig, als hätte sie alle Zeit der Welt und das gleiche Recht wie er, auf dem Meer unterwegs zu sein. Nik merkte, wie er sie mit offenem Mund anstarrte, und konnte doch nichts daran ändern. Sie trug ein dünnes weißes Hemd ohne Ärmel, unter dem sich ihre kleinen runden Brüste abzeichneten.
Seine Ohren wurden ganz heiß und das Blut pochte laut in seinem Kopf. Die Frau schnalzte mit der Zunge und Nik richtete seinen Blick auf die Fässer neben ihr. Sie wusste, woran er dachte, und er fühlte sich ertappt, aber er konnte sich trotzdem nicht ganz von ihr abwenden. Aus den Augenwinkeln beobachtete er jede ihrer Bewegungen. Langsam hob sie eine breite Schärpe vom Boden auf und zog sie straff um ihre Brust zusammen. Dann warf sie ein weites Hemd mit langen Ärmeln darüber und band die langen Haare zu einem Zopf im Nacken zusammen. Als sie sich eine Kappe auf den Kopf schob, gab es keinen Zweifel mehr.
»Alexej?«
Die Frau lächelte und Nik verstand. Als russischer Offizier Alexej hatte sie seit Amsterdam in der Hängematte neben ihm geschlafen.
»Warum hast du dich als Mann ausgegeben?«
Sie lachte und es klang seltsam fremd in Niks Ohren. Er hatte Alexej stets mit einem grimmigen abweisenden Blick über das Schiff laufen sehen und schüttelte verwirrt den Kopf.
»Frauen dürfen nicht auf Schiffe«, stellte sie
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