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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette Lühmann
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ein und begleitete ihre Flussfahrt. Als es endlich aufhörte zu regnen, sah Nik die ersten Kirchturmspitzen von London. Schwäne tanzten für wenige Augenblicke auf den Wellen und verschwanden spurlos im weißen Nebel, der wie Gischt über dem Fluss waberte.
    Alexej trat neben ihn auf das Bugspriet. Sie rümpfte die Nase. Die Latrine der Mannschaft lag unter ihnen und der beißende Geruch des Urins wehte zu ihnen hinauf.
    Nik zuckte mit den Schultern. Er wollte die Stadt sehen, in die seine Eltern ihn verbannt hatten, und an der Spitze des Schiffes war er ihr am nächsten.
    »Du wirst finden, was du in London suchst«, sagte Alexej.
    »Du weißt doch nicht, was ich suche.«
    »Ich denke, du suchst nichts, aber du wirst es trotzdem finden.« Alexej klemmte sich eine Haarsträhne unter die Mütze.
    Nik hatte genug von ihren Orakelsprüchen und starrte unverändert auf die Türme der Stadt, die rasch näher kamen. Er hätte alles dafür gegeben, auf der Stelle zum offenen Meer zurückzusegeln.
    »Ich gebe dir noch einen Rat …« Sie hielt kurz inne.
    Nik brummte nur. Er würde sie nicht davon abbringen können.
    »Geh in die St. Paul’s Cathedral.«
    »Ich soll beten?« Er sah sie mit offenem Mund an.
    »Das schadet nicht«, sagte sie und lachte leise. »Ich meinte aber nach dem Gottesdienst. Dann sind dort Händler, die ihre Geschäfte machen, und Bettler und Diebe treiben sich herum.«
    Nik runzelte die Stirn.
    »Wenn du jemanden in London suchst, dann frag die Diebe. Sie kennen die Stadt wie ihre Westentasche.«
    Sie drehte sich um und lief über das Deck, um beim Anlegen zu helfen.

    Die Saint George glitt an den dicken Mauern des Towers vorbei. An dem Tor steckten abgeschlagene Köpfe von Männern und Frauen und starrten mit leerem Blick auf den Fluss. Nik schauderte und zog sein wollenes Hemd mit dem Gürtel enger um den Körper. Er wollte nichts mit den Dieben zu tun haben.
    Niemand konnte ihn zwingen, in dieser grausamen Stadt an Land zu gehen. Er hatte genug über das Segeln und Navigieren gelernt, um sich nützlich zu machen.
    Entschlossen lief er über das Deck und kletterte Levi hinterher, der sich aufmachte, die Segel einzuholen. Die Saint George wurde langsamer und fuhr in den Hafen ein, in dem schon Dutzende Segler festgemacht hatten.
    Nik schloss die Augen. Es roch nach altem Fisch, Bier und Zitrusfrüchten. Er hörte die Befehle, die beim Abladen gerufen wurden, und die Händler, die fluchend und feilschend ihre Ware in Empfang nahmen.
    Die Geräusche waren nicht anders als in Amsterdam, doch der Wind blies ihm hier frischer und kühler um die Nase.
    Es wurde Abend und das Schiff lag noch immer im Hafen. Die Ladung war längst an die Händler verteilt worden und die Mannschaft verstaute frische Vorräte an Bord. Levi hatte seine Truhe schon vor Stunden auf den Steg getragen, doch es kümmerte Nik nicht, ob sie gestohlen wurde.
    Seine Finger begannen zu kribbeln und seine Füße fühlten sich taub an. Vermutlich würde er bald den Halt verlieren und auf das Deck herunterfallen. Er klammerte sich an der Takelage fest, bis jemand seinen Namen rief.

»Nicolaas, komm herunter.«
    Der Kapitän winkte ihm zu. Neben ihm auf dem Steg stand ein Mann mit grauen Locken.
    Nik zögerte einen Augenblick. Die Versuchung war groß, sich stur wie ein kleines Kind zu stellen und in der Takelage zu bleiben, bis das Schiff den Hafen wieder verließ. Doch ein Befehl des Kapitäns duldete keinen Widerspruch, das hatte er auf seiner Reise gelernt. Nik fluchte leise, kletterte dann nach unten und sprang auf das Deck. Er winkte Levi und den anderen Jungen, die das Deck schrubbten, und warf dem Kapitän einen finsteren Blick zu. Der klopfte ihm lachend auf die Schulter, und seine Schritte dröhnten auf den Planken, als er zurück an Bord ging.
    Nik seufzte.
    Der fremde Mann streckte ihm die rechte Hand entgegen und umschloss Niks schmale Finger mit seinen riesigen Pranken.
    »Ich bin Joseph Chadwick.«
    Er trug einen dicken Pullover, der für die Temperaturen zu warm war, und hatte sich außerdem noch einen wollenen Umhang über die Schultern geworfen.
    »Ihr seid der Wollhändler?«, fragte Nik und musterte das bärtige Gesicht des Mannes.
    Joseph Chadwick lachte. Es war ein freundliches Lachen, das bis zu den kleinen braunen Augen reichte. »Komm, Junge. Gehen wir nach Hause.«
    Nik spürte einen Stich im Magen und dachte an Benthe, die vor dem Haus am Kanal saß, und an seine Brüder, wie sie sich im Lager versteckten.

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