Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Francis Hobbes musste aus dem Hochland stammen. Sein Gesicht war rau und von Pockennarben durchzogen.
Nik schauderte. Der Mann hatte eine schmale Gestalt, doch seine Bewegungen wirkten kraftvoll und zäh. Er wollte ihm nicht im Dunkeln begegnen.
»Ich habe einen Auftrag für Euch.« Nik sah ihm in die Augen. Er hoffte, er hatte die richtigen Worte gefunden. Wenn er nervös war, kam ihm die englische Sprache nur holprig über die Lippen.
Francis Hobbes runzelte die Stirn und wartete.
Nik neigte den Kopf zur Seite und sah an der weißhaarigen Gestalt vorbei ins Zimmer. Im flackernden Schein des Feuers standen große und kleine Fensterscheiben an den Wänden und warfen das Abbild der zuckenden Flammen zurück. Einige waren kunstvoll in Blei gefasst und strahlten in bunten Farben.
Nik beobachtete mit offenem Mund die wechselnden Farbspiele auf dem staubigen Boden.
»Was ist das für ein Auftrag?«, fragte Hobbes.
Nik sah ihn an und trat einen Schritt zurück. »Ihr macht keine Gefäße?«, fragte er.
Der Alte schüttelte den Kopf.
»Entschuldigt, Mr Hobbes«, bat Nik und griff nach seinem Karren. Der Glaser drehte sich um und schlug schimpfend die Tür hinter sich zu.
Nik lief die Straße entlang. Das Mädchen hatte ihm vier weitere Namen verraten, und in den nächsten Tagen würde er die Männer aufsuchen, wenn Joseph ihn in die Nähe ihrer Häuser schickte. Bis zum Winter hätte er ihnen allen einen Besuch abgestattet und konnte seinem Vater vielleicht zu Weihnachten die ersehnte Kugel schicken.
Sie stand am Fenster und sah dem Jungen hinterher.
»Wer war das, Francis?«, fragte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. Der Glaser murmelte etwas Unverständliches und beugte sich über seinen Ofen.
Sie runzelte die Stirn. Befragte jemand im Auftrag der Gilde die Londoner Glaser? Doch der Bursche war gegangen, bevor er viel von der Werkstatt gesehen hatte.
Sie sah sich in dem Raum um, der das ganze Erdgeschoss des Hauses einnahm. Francis Hobbes arbeitete und lebte allein in einem großen Steinhaus in der Cannon Street. Conrad hatte sie am Anfang ihrer Lehrzeit mit Francis bekannt gemacht. Der Hochländer war vor zwanzig Jahren in die Stadt gekommen. Er scheute Gesellschaft und liebte die Arbeit am Feuer. Ein stummer Gehilfe brachte die Fenster zu den Häusern, für die sie bestimmt waren. Francis arbeitete Stunde um Stunde und Tag für Tag unerschütterlich mit der gleichen Sorgfalt und Ruhe. In ihm brannten nicht die Unruhe und die Suche nach dem Außergewöhnlichen, die ihren Meister angetrieben hatten. Trotz seiner brüsken Art entdeckte sie oft ein zufriedenes Lächeln in seinem runzeligen Gesicht, wenn sie ihm bei der Arbeit half.
Sie sah noch einmal aus dem Fenster. Der Junge war verschwunden. Hoffentlich irrte sie sich. Wenn der Junge doch auf der Suche nach ihr gewesen war, dann hatte sie Francis mit ihrem Besuch in Gefahr gebracht.
Sie stellte ihren Becher auf den Tisch und legte das Säckchen daneben, das sie in der Werkstatt eines Färbers gestohlen hatte. Obwohl Francis der Kalk sicher nicht ausgegangen war, hatte er sie gebeten, ihm ein Säckchen zu besorgen. Sie steckte die Münze ein und wandte sich zur Tür.
»Ellie«, rief der Glaser.
Sie drehte sich um und er reichte ihr ein Leinentuch. Es roch nach frischem Brot und geräuchertem Fisch. Ellie lächelte und drückte zum Dank stumm seine Hand.
»Du kannst auf dem Dachboden schlafen«, bot er an. Sie schüttelte den Kopf und er wirkte nicht überrascht.
»Auf Wiedersehen, Francis!«
»Pass auf dich auf, meine Kleine!«
Auf der Straße sah sie sich nach allen Seiten um. Dann lief Ellie zurück zu ihrem Versteck auf dem Dachboden gegenüber von Conrads Werkstatt. Das Tuch mit dem Essen klemmte sie unter den Arm. Sie hatte seit Tagen nichts anderes zu sich genommen als hartes Brot und konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, sofort über das Bündel herzufallen.
Doch sie ahnte, dass Francis am Fenster stand und ihr nachsah, bis sie am Ende der Straße hinter den Häusern verschwand. Sie war zu stolz, um ihm zu zeigen, wie groß ihre Verzweiflung und ihr Hunger in der letzten Zeit geworden waren.
Es dauerte nur wenige Wochen, bis Nik die Häuser aller Glaser aufgesucht hatte, aber die Hoffnung, die Kugel für seinen Vater zu finden, schwand bei jeder Begegnung. William Cromwell und Thomas Newton waren Glaser, die davon lebten, bemaltes Glas in die Fenster von Kirchen oder Wohnhäusern reicher Londoner einzusetzen. Newton hetzte einen seiner
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