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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette Lühmann
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und splitternd neben ihm auf das Pflaster schlug. Die Tuchballen fielen hinunter und begruben ihn unter sich.
    Er schob die Ballen zur Seite und richtete sich auf. Vergeblich versuchte Nik, die klebrigen Hände an seinen Hosenbeinen sauber zu wischen. Sein Rücken war feucht, und er stank erbärmlich nach Abfall und Exkrementen, die der letzte Regen zu einer braunen matschigen Masse vermischt hatte. Die Schritte von Stiefeln hallten in der engen Gasse hinter ihm,bis plötzlich Schreie erklangen. Sie hatten den Dieb gefasst.Nik stand allein auf der Straße. Drei Möwen stürzten sich auf die Brötchen. Die ärmliche Beute wurde hart umkämpft.
    Nik sah den Vögeln einen Moment zu und schauderte bei dem Gedanken an die Strafe, die den Dieb erwartete. Er würde seine Hand verlieren und hatte sich nicht einmal mit dem Brot stärken können.
    Seufzend wandte er sich seinem Wagen zu. Als er ihn aufrichten wollte, erkannte er das Ausmaß seines Unglücks.
    Nur ein Ballen Tuch hatte sich in dem Gatter an der Seite verfangen. Die anderen waren in den Rinnstein gefallen und im Unrat der Straße gelandet. Nik hob den ersten Ballen auf. Er stank wie ein Schweinestall. Der zweite roch nicht besser. Das feine Tuch war mühsam gewebt, gewalkt und gefärbt worden, um zu einem prachtvollen Kleid oder Obergewand zu werden. Nun würde es keinen Käufer mehr finden.

    Nik sah die Straße hinunter. Von den Wächtern war niemand zu sehen oder zu hören.
    Er stand allein vor seinem Karren und konnte keine Hilfe erwarten. Den Zorn und die Strafe des Wollhändlers wollte er sich nicht ausmalen. Auch wenn ihn keine Schuld traf, so war der Stoff doch verdorben, und er musste ihn zu Joseph bringen, um ihm das Unglück zu beichten. Niedergeschlagen machte sich Nik daran, die verdreckte Ladung von der Straße zu schaffen.
    Die Ballen hatten sich mit dem Schmutz der Gasse vollgesogen und einer war schwerer als der andere. Nik warf das stinkende Tuch stöhnend auf den Karren und stapfte mit gesenktem Kopf Richtung Süden.
    Die Schneeflocken wurden immer größer und die dicken grauen Wolken brachten schon am späten Nachmittag die Dämmerung über die Stadt.
    Der Gestank verfolgte ihn wie ein Fluch. Die Menschen, denen er auf der Straße begegnete, hielten angewidert Abstand zu ihm. Die Kinder verspotteten Nik und zeigten mit den Fingern auf ihn. Einer bewarf ihn sogar mit einer Kugel, die er sorgfältig aus Mist und Dreck geformt hatte. Nik fluchte in seiner Muttersprache und sah sie missmutig an. Doch sie äfften nur den Klang seiner niederländischen Worte nach. Mit gesenktem Kopf ging er schnell weiter. Er konnte seinen Karren nicht unbeaufsichtigt lassen, um ihnen eine Tracht Prügel zu versetzen.
    Als Nik nur noch wenige Straßen von Josephs Haus entfernt war, fielen die Flocken immer dichter vom Himmel.
    Nik zog den Kragen enger um seinen Hals. Die Flocken setzten sich in sein Haar und auf seine Schultern und tropften ihm eiskalt in den Nacken. Nik schüttelte sich und dann kam ihm eine wunderbare Idee. Niemand zwang ihn, direkt mit dem schmutzigen Tuch zu den Chadwicks zu gehen. Er eilte an der Abbiegung zu ihrem Haus vorbei und lief weiter zur Themse.
    Er musste nicht lange suchen, bis er einen Ort am Ufer fand, der genug Platz für ihn und seinen Karren bot. Nik nahm Ballen für Ballen von dem hölzernen Wagen, entrollte das Tuch und schwang es wie die Waschfrauen durch den Fluss.
    Es bereitete ihm ein Gefühl tiefer Zufriedenheit, als die blaue Farbe des ersten Stoffes unter dem braunen Dreck wieder hervorkam.
    Doch dann entglitt das Tuch immer öfter seinen steifen Fingern. Die eisige Kälte des Wassers kroch seine Hände hinauf. Nik biss die Zähne zusammen. Er wollte den Schaden für den Wollhändler verringern. Tuch für Tuch säuberte er im Fluss, rollte es auf und hievte es wieder auf den Karren. Auch seine Beine waren bald taub von Wind und Wasser.
    Die Dunkelheit fiel über die Stadt, und Nik sah bisweilen über die Schulter, wenn sich im Schatten etwas bewegte. Es wäre ein Leichtes, ihn in den Fluss zu stoßen und mit dem Tuch zu verschwinden.
    Doch niemand griff ihn an. Zitternd warf Nik die letzte Rolle auf den Karren und zog mit gesenktem Kopf zurück zum Haus des Wollhändlers. Als er vor dem Haus der Chadwicks ankam, stolperte er mit dem Karren in den Hinterhof. Die Tür öffnete sich und Olivia lief ihm entgegen.
    Mit beiden Händen umfasste sie sein kaltes Gesicht und sah ihm in die Augen.
    »Wo bist du gewesen, mein

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