Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
Lehrlinge hinter ihm her, weil Nik gegen einen Rahmen gestoßen war, und Cromwell schlug ihm die Tür vor der Nase zu, denn er hinkte seinen Aufträgen schon seit Wochen hinterher und hatte keine Zeit für Gespräche.
Während sich Nik ein paar Stunden in der Nähe von Cromwells Werkstatt herumdrückte und die Kunden beobachtete, die mit bunten Glasschalen im Arm aus der Werkstatt traten, überlegte er, wie er weiter vorgehen sollte. Edmund Grew, der in der Nähe des Hafens arbeitete, konnte nicht der gesuchte Glaser sein, denn seine Krüge und Schalen waren plump und schief und kosteten nur wenige Penny.
Zuletzt suchte Nik das Haus von Robert Harvey auf. Es lag Meilen von den Adressen entfernt, zu denen Joseph ihn täglich schickte. Das Haus grenzte an das Viertel der Reichen, in dem kaum jemand zu Fuß ging und vornehme Kutschen durch die Gassen preschten.
Nik war sich seiner einfachen Kleidung und der geflickten Hosen so bewusst wie nie zuvor. In Amsterdam kannte man ihn als Sohn eines der reichsten Kaufleute im Viertel, doch hier in London war er nur der Laufbursche eines einfachen Wollhändlers. Obwohl er die Stadt seit Tagen nicht mehr verlassen hatte, wurde ihm plötzlich bewusst, wie unangenehm der Geruch der Schafe an ihm hing, und er rümpfte die Nase.
Nik ließ seinen Karren stehen und trat an das Fenster des Eckhauses.
Noch nie hatte er ein schöneres Glasfenster gesehen. In bunten Farben setzte sich aus unzähligen kleinen Scheiben ein großes Fensterbild zusammen, auf dem ein Mann abgebildet war, der vor seinem Ofen stand und stolz eine filigrane Glasskulptur in den Händen hielt. Das echte Feuer im Inneren des Hauses ließ das Kunstwerk an diesem grauen Winter-tag wie die Sonne leuchten.
Nik konnte sich an dem Anblick nicht sattsehen. Pferde trabten an ihm vorbei und Kutschen sausten um die Ecke. Ein Mann, der mit schweren Körben beladen war, stieß mit Nik zusammen und drängte ihn fluchend gegen die Hauswand. Eine Frau in den Kleidern einer Dienstmagd trat an die Tür des Glasers und klopfte. Nik ging langsam an der Frau vorbei und spähte in das Innere der Werkstatt, als ein Lehrling, der in Niks Alter war, die Tür öffnete. Ein halbes Dutzend Gesellen eilte von den Werktischen zu dem großen Ofen in der Mitte des Zimmers und wieder zurück. Sie trugen glühende Glaszylinder oder hölzerne Formen. Ein Mann mit tiefschwarzem Haar beaufsichtigte ihre Handgriffe. Er öffnete die Klappen am Ofen und winkte jemanden herbei, wenn ein Werkstück weiter bearbeitet werden konnte.
Die Magd erkundigte sich nach einem Krug, den sie abholen sollte. Der schwarzhaarige Mann am Ofen hörte den Namen der Herrin und eilte auf ein Regal zu. Er nahm die schönste Schale herunter, die Nik je gesehen hatte. Sie war aus milchigem Glas und das Wappen der Familie war mit braunen, gelben und grünen Glasfäden auf die Schale gesetzt. Der Mann betrachtete sie zufrieden und kam damit zur Tür. Die Magd zog dicke Tücher aus den Taschen ihrer Schürze und streckte die Hände nach dem Kunstwerk aus.
»Hast du den vereinbarten Lohn?«, fragte er die Magd.
Sie schüttelte den Kopf.
Der Mann schlug ohne ein weiteres Wort die Tür zu.
Nik sah die Ratlosigkeit in dem feisten Gesicht der Magd und wartete. Für einen Augenblick stand die Frau fassungslos vor der Werkstatt des Glasers. Dann atmete sie tief ein und klopfte erneut.
Der Lehrling öffnete wieder.
»Ich brauche die Schale. Morgen ist die Hochzeit des jungen Herrn«, erklärte sie.
»Du hast den Meister gehört. Lauf nach Hause zu deiner Herrin und bring die zehn Schilling, wie es vereinbart war. Dann kannst du die Schale mitnehmen.«
Nik blickte über die Schulter der Magd in die Werkstatt. Der Meister hatte das Kunstwerk wieder in das Regal gestellt und strich zärtlich über das bunte Glas.
Ein Kribbeln fuhr durch Niks Glieder. Die Schritte der Magd klapperten auf dem Pflaster und er roch den Duft des Nadelholzes im Ofen. Als der Lehrling die Tür zuschlagen wollte, trat Nik auf die Schwelle.
»Warte«, bat er den Lehrling. »Kann ich Meister Harvey sprechen?«
»Was willst du von ihm?«
»Ich möchte eine Kugel bestellen. Im Auftrag meines Vaters.«
Der Lehrling musterte Nik und sein Blick hing zu lange an den Flicken auf der Hose, den abgewetzten Stiefeln und den Löchern in seinem wollenen Hemd.
Nik richtete sich auf und versuchte, den Eindruck zu erwecken, als würde er jeden Tag kostbare Gegenstände bestellen.
Der Lehrling blieb im Türrahmen
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