Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
drei Jungen und ein Mädchen und ließen kleine Glaskugeln über den festgetretenen sandigen Boden kullern. Wenn sie in einer Kuhle zusammenprallten, ertönte das Geräusch, das Niks Neugier geweckt hatte.
Er hockte sich in den Eingang unter den Bogen, der als Durchgang zur Seitenkapelle diente, und sah ihnen zu. Die Kinder waren ein paar Jahre jünger als er und trugen die groben Hemden der Handwerker.
Strahlend streckte das Mädchen schließlich die Hand aus und fegte die Kugeln zusammen. Die Jungen stoben fluchend an Nik vorbei und verschwanden in der Menge.
»Du hast gewonnen?«, fragte Nik das Mädchen.
»Natürlich.«
»Wie wird das gespielt?«, wollte er wissen.
Sie warf ihre langen Zöpfe über die Schultern und erklärte ihm die Regeln. Dabei rollte sie die Murmeln über den Boden und demonstrierte ihm die Spielzüge. Dann schob sie sie mit den Händen zusammen. Nik bemerkte zwei Kugeln, die anders aussahen und das schummrige Licht reflektierten.
»Was sind das für Kugeln?« Er zeigte auf die beiden.
Das Mädchen hob eine auf und rieb sie an ihrem speckigen Kleid sauber. Es war eine gläserne Kugel, die sich in der Form nicht von den tönernen unterschied. Sie war ebenmäßig und kullerte anmutig über die schmutzige Hand des Mädchens.
»Wo hast du die schönen Kugeln her?«, fragte Nik.
Sie ließ die Murmeln klirrend in einen Beutel fallen.
»Die Glasermeister lassen ihre Lehrlinge kleine Kugeln herstellen, damit sie üben können. Die Händler kaufen sie für ihre Kinder und denen kann man die Kugeln gut abjagen.« Sie zeigte kichernd in die Richtung, in der die Jungen verschwunden waren.
»Kennst du einen Glaser in London?«
»Ich kenne sie alle«, verkündete sie stolz.
»Wo sind sie?«
Sie runzelte die Stirn. »Willst du mit Kugeln spielen?«
»Nein.« Nik lächelte. »Ich brauche sie für jemand anderen.«
Das Mädchen hockte sich neben ihn auf den Boden und flüsterte ihm die Namen der Glasermeister ins Ohr.
Carmen de Witt klopfte an die Tür zur Werkstatt. Einen Augenblick später schwang sie auf.
Ein Mann streckte ihr die Hand entgegen und lächelte sie an. Er hatte schneeweißes Haar, aber seine Hände und sein Gesicht waren glatt und nur um die Augen hatte er wenige kleine Falten. Er war nicht einmal zehn Jahre älter als sie.
»Was verschafft mir die Ehre, Senhora de Witt?«
Carmen spürte, wie sich ihre Wangen röteten. Ihr Bild hing im Zimmer ihres Mannes und ihr Vater war in der Stadt durchaus bekannt. Trotzdem fühlte sie sich seltsam geschmeichelt, weil er sie erkannt und mit ihrem Namen angesprochen hatte.
»Sie sprechen portugiesisch, Mijnheer Sehfeld?«, wollte sie wissen.
»Infelizmente não! Leider nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Darf ich bitten?« Zuvorkommend ergriff er ihre Hand und zog sie in seine Werkstatt.
Was Carmen dort sah, hatte sie nicht erwartet. Sie hatte in den letzten Tagen und Wochen mit ihren kostbaren Stiefeln auf festgetretenem Lehmboden, grobem Stein oder breiten Dielenbrettern gestanden. In Heinrich Sehfelds Werkstatt zierten jedoch verschiedene Motive den Boden, die aus farbigen Mosaiksteinen zusammengesetzt waren. Es lag kein Staub in der Luft und überall war es sauber und aufgeräumt.
Sie sah Heinrich an. Er hatte ihren bewundernden Blick bemerkt und lächelte.
»Setzt Euch«, bot er an und deutete galant auf einen Stuhl unter dem Fenster zum Innenhof.
Carmen trat an den Tisch. Die Stühle hatten weiße geschwungene Beine. Obwohl Carmen eine schlanke Gestalt hatte, wagte sie nicht, die gepolsterte Sitzfläche mit ihrem ganzen Gewicht zu belasten. Unauffällig stützte sie sich auf den Knien ab, um den wunderschönen Stuhl nicht zu zerbrechen.
Heinrich setzte sich ihr gegenüber. Die Sonne fiel durch das Fenster und spiegelte sich auf der Tischplatte zwischen ihnen in Hunderten winziger Spiegelscherben, die spiralförmig auf das Holz geklebt waren.
Carmen entfuhr ein bewundernder Laut. Sie schlug die Hand vor den Mund und sah sich die Wände des Zimmers an.
Ihr Herz klopfte beim Anblick der Spiegel. Sie spürte Heinrichs Blick und sah in den Augenwinkeln sein Schmunzeln, doch sie konnte ihre Bewunderung nicht verbergen. Die Schönheit der Gegenstände und die Fantasie des Künstlers berührte sie, wie es sonst nur bei den alten Gedichten geschah, die sie in ihrer Jugend verschlungen hatte. Carmen seufzte.
Ein halbes Dutzend Spiegel hing an jeder der Wände und keiner glich dem anderen. Die Oberfläche der Spiegel war klar und
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