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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette Lühmann
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Wänden auf sie herunter.

Nik war begeistert, als er am Ostersonntag in den Spiegel über seiner Waschschüssel blickte. Auf seiner Wange leuchtete eine blassrosa Linie. Eiter, Brennen und Jucken waren ihm zum Glück erspart geblieben. Olivia Chadwick wusste offensichtlich genau, wie man Wunden behandelte.
    Es hatte in dieser Nacht noch einmal geschneit und eine dicke Schicht des weißen Puders lag über dem Schmutz der Straße. Nur wenige Menschen waren vor ihnen unterwegs gewesen und hatten die Abdrücke ihrer Stiefel auf der weißen Decke hinterlassen.
    Als sie sich der St. Paul’s Cathedral näherten, stießen an jeder Ecke mehr Menschen zu Nik und den Chadwicks, die alle in dicke Mäntel und Jacken gehüllt waren und ihre Kapuzen aufgesetzt hatten. Nik beeilte sich, mit Olivia Schritt zu halten, und zeigte mit der Hand auf seine Wange.
    »Ihr habt wirklich ein Wunder vollbracht. Ich danke Euch dafür.«
    »Du hast mir schon oft gedankt, Nicolaas. Es ist genug.«
    Nik schüttelte den Kopf und hielt ihr die Hände entgegen.
    »Stellt Euch mein Gesicht mit diesen Narben vor. Meine Eltern hätten mich nicht wiedererkannt …«
    Sie lachte und Joseph drehte sich stirnrunzelnd zu ihnen um.
    Nik senkte die Stimme. »Sagt mir doch bitte, wer Euch das gelehrt hat«, bat er.
    Olivia seufzte nur, wie so oft in den letzten Wochen.
    »Heute ist Ostern«, beharrte er und spielte seinen letzten Trumpf aus. »Wollt Ihr mir nicht einen Wunsch erfüllen?«
    Nach einem kurzen Zögern winkte sie Nik dichter zu sich.
    »Mein Vater war Barbier und meine Mutter Hebamme«, flüsterte Olivia, ohne ihn anzusehen. »Wir haben in einer Hütte im Wald gelebt mit einem Kräutergarten und vielen Tieren.«
    Sofort tauchte ein Bild vor Niks Augen auf: Olivia, die als kleines Mädchen Leder zerschnitt, um das Nähen zu üben, und Eltern, die Tiere mit Kräutern versorgten und Menschen im Schutz der Dunkelheit von ihren Krankheiten heilten. Natürlich musste Olivia ihre Vergangenheit geheim halten, weil die Priester der Kirche für Wundärzte und Chirurgen nur die Ausbildungen der Universitäten duldeten. Wenn jemand erfuhr, welche Fähigkeiten sie hatte, konnte sie schwer bestraft werden.
    Von den Händlern und Bauern wusste Nik, dass London in den letzten Monaten immer strenger gegen die vorgegangen war, die die königliche Ordnung störten oder umgingen. Es wurde sogar mit einer Geldstrafe belegt, wer die Messe in den Kirchen verpasste. Die Gesetzgebung des Königs war in Niks Augen so beunruhigend willkürlich wie die Anordnung von Londons Straßen. Doch Nik war vorsichtig mit dem, was er auf der Straße laut sagte, schließlich wollte er seinen Kopf am nächsten Tag nicht auf den Speeren am Tower wiederfinden.
    Er wagte auch nicht, jemanden nach dem Glaser zu fragen, dessen Schild noch immer knarrend und morsch im Wind schaukelte. Tag für Tag und Woche für Woche ging er nun an der Tür vorbei und hielt dort einen Moment inne.
    Er dachte an den Gehängten und die rothaarige Diebin und fragte sich, ob er jemals eine Antwort auf seine Fragen erhalten würde. Nik versuchte, das Mädchen zu vergessen, doch es gelang ihm nicht. Seit ihrer letzten Begegnung trug er immer ein Stück Käse bei sich, aber sie war ihm nicht wieder über den Weg gelaufen.
    Je näher sie der Kathedrale kamen, desto enger wurde es auf den Straßen. An jeder Gasse stießen Dutzende Londoner Bürger zu ihnen und flossen wie ein Strom auf die Kirche zu. Olivia wurde dichter an ihn gedrückt und stieß mit ihrem Arm gegen seine Schultern. »Wirst du mir auch einen Wunsch erfüllen?«, fragte Olivia leise. »Wirst du mein Geheimnis bewahren?«
    Nik griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz. Er sah sie an und wusste, sie hatte seine Antwort verstanden.
    Als sie sich endlich durch die großen Flügeltüren in das Innere der Kathedrale geschoben hatten, verstummten die Glocken im Turm.
    Carmen de Witt saß im Stadthaus ihres Mannes vor ihrem Frühstück und rührte sich nicht. Der Käse auf ihrem Teller verfärbte sich an den Rändern bereits dunkelgelb. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit sie sich an den Tisch gesetzt hatte, und sie wollte es auch nicht wissen. Carmen lief wie ein Gespenst durch das Haus. Sie hatte in den letzten Wochen immer weniger gegessen und kaum geschlafen. Ihr Mann hatte sie in dem schmutzigen grauen Leinenkleid im Wohnzimmer vorgefunden und sich ohne ein Wort von ihr abgewandt. Sie hatte ihn erst nach Tagen wieder auf den Treppen

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