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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette Lühmann
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poltern gehört, und das stürzte sie noch tiefer in die Traurigkeit, die sich tonnenschwer auf ihre Brust gelegt hatte.
    Carmen schob den Teller von sich. Der Geruch des Essens bereitete ihr Übelkeit. Da hörte sie Stimmen vor der Tür.
    »Carmen Sara de Witt?«
    »Nein, ich sagte doch …«
    »Ich muss es ihr persönlich übergeben …«
    »Nein, Mevrouw de Witt ist heute nicht in der Lage …«
    Carmen krallte die Hände in den Stoff auf ihrem Schoß. Niemand entschied für sie, wozu sie in der Lage war.
    »Ich habe den Auftrag, das Geschenk heute zu überbringen …«
    »Gebt es mir …«
    »Das ist unmöglich.«
    Carmen legte die Hände auf die Armlehnen und drückte sich aus dem Stuhl. Draußen wurden die Stimmen lauter.
    »Ich muss doch sehr bitten …«
    »Kommt später wieder, Mijnheer!«
    »Ausgeschlossen.«
    Vorsichtig setzte Carmen einen Fuß vor den anderen. Als sie die Tür erreicht hatte, schwankte sie kaum noch.
    Ein junger Mann stand im Flur, doch ihr Mädchen hatte sich ihm mit ausgebreiteten Armen in den Weg gestellt. Wenn Carmen an diesem Tag nicht so unsagbar erschöpft und schwermütig gewesen wäre, hätte sie den Anblick komisch gefunden, denn das Mädchen war fast zwei Köpfe kleiner als der Mann. Als sie Carmen hinter sich hörte, verbeugte sie sich und deutete auf den aufdringlichen Boten. Doch bevor sie mit Entschuldigungen und Anklagen beginnen konnte, legte der Bursche Carmen einen Gegenstand in die Hände, der in feines blaues Tuch gewickelt war.
    Als sie es zur Seite schlug, hatte er ihr Haus bereits wieder verlassen.
    Carmen taumelte. Ein Spiegel lag in ihrer Hand. Sie fuhr mit dem Finger über den dunkelbraunen abgerundeten Rahmen.
    Glatt und warm fühlte sich das Holz unter ihren Fingern an. Carmen hob den Spiegel langsam vor ihr Gesicht und betrachtete sich in der runden Scheibe.
    Sie erwartete, das Gesicht der müden, verunsicherten Frau zu sehen, die mit tiefen schwarzen Ringen unter den Augen durch das Haus geisterte. Doch sie sah eine leidenschaftliche Frau, der die Welt offenstand. Ihre schwarzen Augen glänzten entschlossen und klug. Sie war schon immer geschickter und gewandter im Umgang mit Menschen gewesen als die meisten anderen Frauen. Seit ihrer Kindheit folgte sie mühelos den Gesprächen der alten Männer und scherzte und diskutierte mit den gelehrten Schreibern. Carmen bekam immer das, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte. Sie war immer noch jung und schön und voller Lust auf das Leben – und all das strahlte ihr aus dem Spiegel entgegen.
    Der Schnee war geschmolzen und ließ London in dreckigem Matsch zurück, der Nik bis an den oberen Rand seiner Stiefel reichte. Er hatte heute gewalktes Tuch auf seinem Karren und blieb nur kurz stehen, um das Schild zu betrachten. Irgendwie hatte das Stück Holz den Winter überlebt und schaukelte noch immer knarrend im Wind hin und her.
    Es war in den letzten Wochen kaum ein Tag vergangen, an dem er nicht durch diese Straße gegangen war. Auch wenn ihn die Aufträge des Wollhändlers nicht in die Nähe der Werkstatt brachten, zog es ihn zu diesem Haus. Er wusste nicht, ob es die Hoffnung auf ein zufälliges Gespräch war, in dem er etwas in Erfahrung bringen konnte, ohne sein Leben zu riskieren, oder die Hoffnung, die Diebin würde noch einmal durch diese Straße fliehen. Er strich mit dem Finger über die Stelle an seiner Wange, wo sie ihn gekratzt hatte. Dann drückte er seine Nase gegen das Holz vor den Fenstern, wie es ihm zur Gewohnheit geworden war.
    Wie immer sah er nur Dunkelheit.
    »Was willst du hier?«, flüsterte jemand dicht neben seinem Ohr.
    Nik fuhr herum. Hinter ihm stand die Diebin. Dunkle Schatten lagen unter ihren braunen Augen. Sie trug schmutzige Hosen und ein Hemd, das an Bauch und Ärmeln ausgefranst war, und kam noch einen Schritt näher.
    »Warum kommst du jeden Tag hierher und siehst in die Werkstatt?«
    Mit einem Lächeln verschränkte Nik die Arme vor der Brust.
    »Beobachtest du mich etwa?«
    Sie stemmte die Hände in die Hüften, und er nahm etwas Abstand von ihr, weil er sich noch gut an das lange Messer an ihrer Taille erinnern konnte.
    »Warum bist du hier?«, wollte sie wissen.
    Nik zögerte. Dann erinnerte er sich an das, was ihm Alexej über die Diebe in London gesagt hatte, und er fasste einen Entschluss. Wenn sie eine Diebin war, konnte sie ihm vielleicht helfen.
    »Ich suche den Glaser, der hier gearbeitet hat«, erklärte er.
    »Der ist verschwunden«, sagte sie tonlos.
    Nik fühlte

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