Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
aber Ellie antwortete nicht auf seine Frage.
»Ihm ist ein Mann gefolgt. Er trug einen schwarzen Mantel und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.« Sie schluckte. »Conrad hat ihn gehört und sich zu ihm umgedreht, aber da hatte der andere schon das Messer über den Kopf gehoben und zugestochen. Conrad rief: ›Nein! Wie kannst du …?‹ Dann ist er in sich zusammengesunken.« Sie atmete tief ein. »Ich denke, er kannte den Mörder. Es war sicher einer aus seiner Gilde.«
»Ein anderer Glaser?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Er ist noch in einer anderen Gilde. Sie ist geheim und ich weiß nicht viel darüber.« Sie sah ihn an.
Nik schwieg. Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Er sah Gustav und Heinrich im Schein der Fackeln vor sich und hörte sie von dem ermordeten Conrad reden, der ihr Geheimnis verraten hatte. Sie hatten ebenfalls von einer Gilde gesprochen. Nik dachte an die tiefe Stimme des Mannes mit den weißen Haaren und bekam trotz der milden Nachmittagssonne eine Gänsehaut.
»Weißt du etwas über den Mörder? Hast du irgendwas von ihm gesehen oder seine Stimme gehört?«
»Er hat nichts gesagt, aber er hat Conrad dann durch die Gasse zum Fluss gezogen und dabei ist ihm die Kapuze heruntergerutscht. Er hatte schneeweißes Haar, obwohl er sich nicht wie ein alter Mann bewegt hat.«
»Heinrich!«, rief Nik überrascht aus. »An meinem ersten Tag in London wurde auf dem Markt ein Mann erhängt und dabei ging es um einen gewissen Conrad.«
Ellie wurde rot. »Albert hatte Schulden bei Conrad, deshalb haben sie ihn verdächtigt. Aber er war es nicht, das habe ich den Wachen gesagt.«
»Sie haben dir nicht geglaubt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Im August sind acht Leute auf einem Schiff nach Amsterdam gesegelt, um dort ein neues Leben anzufangen. Ich habe sie gesehen und zwei von ihnen belauscht. Sie haben darüber gestritten, ob ihre Kunstwerke Unglück bringen. Einer von ihnen hieß Heinrich.«
»Das sind sie«, sagte Ellie und hob den Kopf. »Das müssen sie sein. Sie sind gar nicht mehr in der Stadt.« Dann brach sie in Tränen aus und schluchzte haltlos.
Nik strich Ellie unbeholfen über den Rücken und wartete, bis sie wieder aufhörte zu weinen. Währenddessen dachte er an Benthe, die in Amsterdam stets in seiner Nähe gewesen war. Er brannte darauf, ihr erzählen zu können, was er herausgefunden hatte, und wollte hören, was sie dazu zu sagen hatte.
Am Abend saß Benthe mit den anderen Mädchen an dem Tisch und aß Suppe. Die Haushälterin hatte sie gekocht und den Mädchen wortlos in die Schüsseln gefüllt. Dann war sie verschwunden.
»Ich bin Benthe«, sagte sie und lächelte den anderen zu, doch niemand antwortete ihr. Die Mädchen hielten die Köpfe gesenkt.
Benthe tauchte den Löffel in die dicke Suppe und dachte nach. Der Meister hatte ihr nicht verboten zu sprechen. Es schien unter den Lehrlingen aber eine Übereinkunft zu geben oder sie musste die anderen irgendwie verärgert haben. Sie beugte sich über ihre Schale und musterte die Gesichter am Tisch.
Da fiel das Mädchen neben ihr mit dem Gesicht in ihre Suppenschale. Neben ihren blonden Zöpfen schwappten Linsen auf den hölzernen Tisch. Eine andere zog ihren Oberkörper wieder hoch. Kleine Stückchen Speck hatten sich in den Haaren der Blonden verfangen und sie schnarchte wie ein alter Seemann mit offenem Mund.
Benthe beobachtete, wie die anderen die Teller in die Spüle räumten und dann die Schlafende in ihre Mitte nahmen.
Wie alte Frauen schleppten sie sich langsam und schnaufend die Treppe zum Schlafraum hinauf.
Benthe schlang die Suppe hinunter und folgte ihnen.
Obwohl sie sich beeilt hatte, fand sie alle Mädchen bereits schlafend vor.
Leise trat sie über die knarrenden Dielen zu dem freien Bett unter dem kleinen Fenster. Niemand rührte sich.
Benthe krabbelte unter die wollene Decke. Der Mond schien hell in das Zimmer und ließ die Gesichter der Mädchen fahl und kränklich erscheinen. Benthe war erleichtert, als eines der Mädchen zu schnarchen begann und die trostlose Stille vertrieb.
Nik warf den gewalkten Stoff über seine Schulter und deutete auf die Wand hinter ihm. »Das ist ein wunderschöner Spiegel.«
Die Frau lächelte.
»Wer hat ihn Euch angefertigt?«
Das Lächeln erstarb auf ihrem Gesicht. Sie wandte sich ab.
»Den habe ich geerbt. Von meiner Großmutter.« Die Frau senkte den Kopf über ihre Stickarbeit.
Nik öffnete den Mund zu einer Erwiderung. Dann seufzte er
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