Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
betrachtete das Haus. Die Fensterscheiben fehlten bis unter das Dach und die Tür hing schräg in den Angeln. Hier war nichts mehr zu holen, das war schon von Weitem zu erkennen. Nik legte die Hand auf den Knauf und zog daran. Knarrend gab die Tür nach.
Nik starrte in die leere Werkstatt und trat zögernd über die Schwelle. Neben ihm bewegte sich etwas.
Bevor Nik den Kopf drehen konnte, fasste ihn jemand an der Schulter und drückte etwas gegen seine Kehle. Nik japste nach Luft und spürte, wie ein Messer in seine Haut schnitt.
»Was hast du mit Flambert zu tun?«, brüllte ihm ein Mann wütend ins Ohr.
Die Stimme kam Nik seltsam vertraut vor, und er versuchte, das Gesicht zu erkennen, ohne seinen Hals noch mehr zu verletzen. Ungeduldig drückte der Mann fester zu.
Röchelnd sog Nik die Luft durch den Mund ein und schloss die Augen. Der Geruch von Essig und Kampfer stieg ihm in die Nase, und er sah den Puppenspieler vor sich, der mit seinem rußgeschwärzten Gesicht im Schein der Fackeln auf dem Eis gestanden hatte. Nik riss die Augen auf.
»Ihr?«, stieß er hervor.
Der Druck auf seinen Hals ließ etwas nach.
»Gehörst du zu Flambert?«, zischte der Puppenspieler.
Nik wollte den Kopf schütteln, doch er besann sich eines Besseren, als die Klinge erneut in seine Haut schnitt. »Ich suche Antworten. Genau wie Ihr.«
Endlich ließ der Mann die Hand mit dem Messer sinken und Nik presste keuchend seinen Ärmel auf die blutende Schnittwunde an seinem Hals.
Der Puppenspieler lehnte sich gegen die Wand und starrte auf seine ledernen Stiefel.
»Ist hier nichts geblieben?«, wollte Nik wissen.
Der Puppenspieler schüttelte den Kopf. »Schon in der ersten Nacht war alles ausgeräumt. Wer weiß, wie die Geier etwas von seinem Verschwinden gehört haben. Ich komme immer wieder, obwohl es nichts zu finden gibt.« Er sah Nik nicht an, als er sprach. Das Messer lag in seiner Hand, die kraftlos an seinem Körper herabbaumelte.
Nik sah winzige Blutstropfen von der Spitze der Schneide auf den staubigen Boden fallen. Unter dem Dreck und dem feuchten Stroh war der Boden der Werkstatt ungewöhnlich bunt. Blaue, grüne und braune Flecken lugten an einigen Stellen hervor und bildeten bizarre Muster.
»Warum seid Ihr hier?« Nik sah den Puppenspieler unverwandt an. Der Mann starrte mit glasigen Augen auf seine Füße und schien mit den Gedanken weit fort zu sein.
Als Nik die Frage ungeduldig wiederholen wollte, hob der Puppenspieler den Kopf. Er deutete auf einen der blauen Flecken am Boden. »Hier haben überall Kessel gestanden.« Er bückte sich und klaubte verwelkte Blütenblätter vom Boden auf. Langsam zerrieb er sie zwischen den Fingern.
Nik kniete sich auf den Boden. Von den ummauerten Kübeln ragten nur noch die untersten Steine zwischen dem Stroh heraus. Die Plünderer waren gründlich gewesen. Nik schüttelte enttäuscht den Kopf. Hier würde er keine Hinweise darauf finden, ob Flamberts Tücher für den Tod seiner Brüder verantwortlich waren. In diesem Haus gab es keine Aufzeichnungen mehr, die ihm seine Fragen beantworten würden.
Nik drehte sich um. Die Hoffnung, ein Warenbuch zu finden, hatte er schon auf der Türschwelle verloren. Wenn Flambert noch am Leben war, dann arbeitete er vermutlich unbescholten in einer Werkstatt in Amsterdam und hatte ein neues Leben angefangen. Nik ballte die Hände zu Fäusten. Er musste seinen Vater zwingen, ihn wieder nach Hause zu lassen. Doch solange er keinen Glaser fand, der ihm eine Kugel herstellen konnte, hatte er nichts in der Hand, um ihn zu überzeugen. Ihm fehlten acht Schilling, damit ihm Meister Harvey den Namen des zweiten Glasers verriet.
Der Puppenspieler starrte weiter auf seine Finger und hatte begonnen, in seinen vollen Bart zu brummeln.
»Immer wieder komme ich hierher … jeden Monat einmal … seit es geschehen ist …«
Nik drehte sich zu ihm um. Vielleicht hatten auch andere Menschen wie der Puppenspieler und der ängstliche Gustav eine Verbindung zwischen den Unglücksfällen und einigen Handwerkern erkannt. Doch er hatte in all den Monaten niemanden gefunden, der etwas über die Herkunft der besonderen Kunstwerke verraten wollte. Sobald etwas ungewöhnlich Schönes oder Vollkommenes Niks Aufmerksamkeit geweckt hatte, stotterten die Besitzerinnen herum oder murmelten etwas von einer Erbschaft oder einem Geschenk.
»Sag mir, was du suchst, Junge.« Der Puppenspieler hob unvermittelt den Kopf.
»Antworten«, sagte Nik. »So wie Ihr.«
Der
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