Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
um ihrem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Nik schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. Einen Namen kannten sie schon. Flambert. Ein kühler Wind wehte vom Fluss an das Ufer. Neben ihm warf John Säcke von seinem Karren in die Luke hinab. Er hatte in den letzten Wochen oft neben ihm auf dem Steg gestanden.
»John?«
Der Mann drehte sich zu ihm um und richtete sich auf. John überragte ihn um zwei Köpfe und ließ seinen Bart am Kinn ungestutzt. Er schimmerte rötlich braun wie die Locken auf seinem Kopf und wurde über der Brust mit einem Band zusammengehalten.
»Kennst du Flambert?«
»Den kannte jeder in der Stadt.« John neigte den Kopf zur Seite und runzelte die Stirn, bis sich die buschigen Augenbrauen fast berührten.
»Weißt du, in welcher Straße er seinen Laden hatte?«
John nickte langsam. »Er hatte eine Werkstatt in der Nähe von St. Anthony. Er war Tuchmacher.«
Er hob die letzten Säcke auf und warf sie in die Luke. Nik wartete. Als John seinen Karren geleert hatte und alle Säcke verladen waren, drehte er sich wieder zu Nik um. Er baute sich vor ihm auf und stemmte die Hände in die Seiten. Die Ärmel seines Hemdes waren bei der Arbeit hinaufgerutscht.
Nik sah ein ledernes Band an Johns rechtem Handgelenk. Er beugte sich vor und betrachtete es. Als John es bemerkte, zog er das Hemd hastig darüber. Nik sah ihn an.
»Wer hat dir dieses wunderschöne Band gemacht? Ist das eine Sternenkarte, die in das Leder geritzt ist? Oder sind es Buchstaben? Steht dort etwas geschrieben?«
Der Mann lachte, aber es klang nicht vergnügt.
»Nur ein paar Kerben von der Arbeit«, brummte er. John drehte sich um und umfasste mit der linken Hand das Hemd am Handgelenk, unter dem das Lederband verborgen lag.
Nik streckte die Hand aus und öffnete den Mund, um zu fragen, ob er es noch einmal sehen könne. Doch Johns Blick ließ ihn den Arm zurückziehen. John musterte ihn kalt und abschätzend und schüttelte langsam den Kopf. »Da ist nichts.«
Nik schluckte. Bislang hatte John ihn immer freundlich gegrüßt und mit ihm über die See und den Handel gesprochen, wenn sie zusammen Waren abgeladen hatten.
Irgendetwas sagte Nik, dass diese Zeiten nun vorbei waren.
John betrat Flamberts Werkstatt und sah sich nach einem Versteck um. Sein Rücken schmerzte seit Tagen, und die Knie würden es ihm nicht danken, wenn er sich in einen Schrank hockte. Er seufzte. Langsam war er zu alt für die Arbeit, die Heinrich ihm hinterlassen hatte, als er mit den anderen geflohen war.
Flamberts Werkstatt glich einem Schlachtfeld. Obwohl nur ein Haufen altes Stroh und ein paar Späne auf dem Boden lagen, deutete alles auf die Verwüstungen hin, die das Haus erduldet hatte. Noch in der Nacht, als der innere Kreis der Gilde das Schiff bestiegen hatte, war John in Heinrichs Auftrag durch die Häuser der Männer gezogen. Er hatte verdächtige Zutaten, Briefe und Warenbücher beiseitegeschafft und dann den Dieben und Vagabunden die Türen geöffnet.
Flamberts Werkstatt war zuerst ausgeräumt worden. Niemand hatte dem alten Griesgram und Geheimniskrämer jemals seinen Erfolg gegönnt. Wie die Ratten waren sie in seine Kammern geströmt und hatten Stoffe und Farben aus allen Ritzen und Ecken gezerrt.
Endlich fand John einen Platz, um sich zu verstecken. Seufzend kauerte er sich hinein und schloss die Augen. In der Ferne schlug eine Glocke. Hoffentlich würde der Junge nicht in die Werkstatt kommen. Vielleicht war seiner Neugier endlich der Wind aus den Segeln genommen. Aber John wusste, wie unwahrscheinlich das war, denn er hatte Nik schon oft am Hafen getroffen. Niemand war je so wissbegierig und aufmerksam durch die Straßen Londons gezogen wie er. Alles wollte der Junge verstehen, und er fragte jeden, der ihm über den Weg lief, wo die Schiffe hinfuhren, wer die Steuern eintrieb und wofür der König Strafen verhängte. Sein Wissensdurst würde Nik das Leben kosten, denn Heinrich wollte jeden Verdacht schon im Keim ersticken und John hatte seine Entscheidungen nie angezweifelt. Wenn er Glück hatte, kam der Junge erst in der Nacht. Im Schatten der Dunkelheit war es leichter, einen leblosen Körper verschwinden zu lassen.
Es dauerte Stunden, bis Nik an der St. Anthony Church vorbeikam. Endlich war der Karren leer, und er hatte alle Botengänge erledigt, die Joseph ihm für heute aufgetragen hatte. Nik ging die Straße entlang, bis er vor der Tür der Werkstatt des Tuchmachers Flambert stand. Er legte den Kopf in den Nacken und
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