Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
nicht weniger beunruhigend.
»Ich bringe Scherben mit Blut.« Luuk zog die Tücher aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch mit dem Mosaik aus Spiegelscherben.
Heinrich beugte sich tiefer über seine Arbeit und ein leises Hämmern und Knirschen erklang.
Luuk räusperte sich. »Die Jungen gehen uns aus dem Weg. Es hat sich herumgesprochen.« Er verschränkte die Finger und löste sie wieder. »Für ein paar Wochen … damit sie uns nicht der Kirche melden … wir werden noch festgenommen … wenn sie das mit dem Blut der Stadtwache erzählen …«, stotterte Luuk und stemmte die Hände in die Hüften, bevor er sie wieder sinken ließ. »Also, ich komme erst im nächsten Monat wieder.«
Heinrich drehte sich noch immer nicht um. Mit einer Hand nahm er einen kleinen gläsernen Krug aus dem Regal.
Luuk hörte das feine Rieseln, als das zermahlene Pulver in das Gefäß fiel.
Er hob den Kopf und betrachtete die Spiegel an den Wänden. Vielleicht konnte er den Krug und die Farbe des Inhalts irgendwo entdecken. In einem der Spiegel nahm Luuk eine Bewegung wahr. Er wandte den Kopf. Ein Mädchen beobachtete ihn. Sie hatte blondes Haar und ein bildschönes Gesicht. Er kannte nur ein Mädchen in Amsterdam, dessen Anblick sein Herz schneller schlagen ließ. Doch es konnte unmöglich Benthe sein, die ihn aus dem Spiegel anblickte. Das Haus von Niks Vater befand sich am anderen Ende der Stadt. Außerdem hatte dieses Mädchen blasse müde Augen, unter denen sich tiefe schwarze Schatten abzeichneten.
Benthe hatte strahlend blaue Augen und gebräunte Haut, weil sie bei jedem Wetter viele Stunden durch die Gassen streifte. Das Mädchen im Spiegel war jedoch blass wie der Tod.
Luuk schluckte. Was zeigte ihm dieser Spiegel?
Er sah zu Heinrich. Der hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt und verschloss mit einem leisen Knirschen das Gefäß. Luuk drehte sich um und sah zur Treppe, die zu den Schlafkammern führte. Die hölzernen Stufen hatte er im Spiegel gesehen, doch jetzt stand niemand mehr dort. Luuk fuhr herum. Das Mädchen im Spiegel war fort.
Heinrich trat an den Tisch mit den Spiegelscherben. Er legte drei kleine lederne Säckchen neben die Tücher, in die Luuk die blutigen Glasstücke gewickelt hatte.
»Also …« Luuk nahm die drei Beutel und trat einen Schritt zurück. Er stieß mit dem Rücken gegen die Tür. »Im Mai komme ich wieder …«
Heinrich nickte.
Luuk warf noch einen Blick in den Spiegel und trat dann in die dunkle Nacht. Das Mädchen war nicht wieder erschienen.
Nik hatte bis zum Abend im Hof hinter Conrads Werkstatt gewartet, doch Ellie war nicht gekommen. Schließlich war er zurück zu den Chadwicks gegangen und hatte sich nach dem Abendessen in sein Zimmer zurückgezogen. Dort beobachtete er, wie der Mond sich langsam über die Dächer der Stadt erhob, und dachte an Ellie. Es gab keine Möglichkeit, mit ihr zu sprechen, denn er wusste nicht, wo sie lebte oder arbeitete. Das Mädchen war nicht sehr gesprächig und machte gerne Geheimnisse aus ihren Gewohnheiten.
Als es im Haus still geworden war, schlich Nik die Treppe hinunter, denn er hatte beschlossen, nicht bis morgen zu warten. Außerdem konnte er nicht sicher sein, ob sie am nächsten Tag überhaupt zur Werkstatt kommen würde. Vielleicht hatte sie genug von ihrer Vergangenheit und kam gar nicht mehr. Bei Ellie erschien ihm alles möglich.
Nik trat leise auf die Straße und machte sich auf den Weg zu dem Gildehaus neben Flamberts Werkstatt.
Es war ungewöhnlich still in dieser Nacht. Der Vollmond tauchte London in silbriges Licht. Niks Schritte hallten klar und hell wie Pferdehufe von den Pflastersteinen wider. Niemand begegnete ihm auf seinem Weg.
Als Nik vor dem Gildehaus stand, legte er den Kopf in den Nacken. An einem verschnörkelten Rahmen aus schwarz getünchtem Eisen hing ein buntes Schild über der Tür. Darauf war ein grauer Eimer zu sehen, aus dem ein Stock ragte. Nik hatte das Zeichen schon oft gesehen: Es waren Pistill und Mörser, das Zunftzeichen der Apotheker.
Doch es war nicht dieses Schild, das am Nachmittag seine Aufmerksamkeit erregt und ihn zurück zu dem Haus mit dem ungewöhnlichen Turm getrieben hatte.
Ein bronzener Türklopfer war in der Mitte der Holztür angebracht und schimmerte fast golden im fahlen Licht des Mondes. Die rechte Hälfte hatten viele schwitzende Hände abgerieben, die um Einlass in das Haus gebeten hatten. Doch auf der linken Hälfte des Knaufs war das Zeichen deutlich zu erkennen, mit
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