Das Geheimnis des Templers - Collector's Pack
und du bist neben Struan einer derjenigen,
die dafür in Frage kommen«, antwortete Gero. »Nach dem Vespermahl werden wir im Scriptorium eine kurze Besprechung abhalten.«
Als die beiden sich wenig später anschickten, das Gebäude zu verlassen, legte jemand von hinten eine Hand auf Geros Schulter.
Er drehte sich um und sah in die hämisch grinsende Miene von Guy de Gislingham.
|37| »Gisli – es reicht dir wohl nicht, dass du überlebt hast …«, murmelte Gero und fegte mit einer entschlossenen Bewegung den
Arm des Engländers hinweg, als ob er sich von einem lästigen Insekt befreien wollte.
In Guys Stimme schwang eine satanische Genugtuung, als er antwortete.
»Breydenbach, dein schottischer Freund ist geliefert, ob es dir passt oder nicht … Ich habe Beweise. Spätestens beim Kapitel
am nächsten Sonntag zieht sich die Schlinge zu. Dann ist er seinen Mantel los und, wenn’s nach den Regeln geht, nicht nur
das.«
»Wovon sprichst du überhaupt, du Hund?«, zischte Gero.
Gislingham grinste. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass dein werter Freund nicht nur sein barbarisches Herz, sondern auch sein
eindrucksvollstes Körperteil an eine willige Dame verschenkt hat«, säuselte der Engländer, »und ich spreche hier weder von
seiner großen Nase noch von der heiligen Jungfrau, wie du dir sicher denken kannst.« Unvermittelt brach der Engländer in Gelächter
aus.
Gero schlug Gislinghams schlechter Atem entgegen. Im linken Unterarm des Deutschen spannten sich die Sehnen, und die Finger
der linken Hand vereinten sich wie von selbst zu einem alles vernichtenden Faustschlag.
Doch bevor es dazu kam, dass Gero sämtliche Ordensregeln vergaß und Bruder Guy alle verbliebenen Zähne ausschlug, packte Johan
ihn an seinem Habit und zerrte ihn in Richtung Kapelle.
Das große, helle Sandsteingebäude mit seiner nach Osten ausgerichteten Apsis befand sich an der Außenseite der Komturei. Gero,
Johan und einige andere Kameraden schlüpften durch eine unscheinbare, eisenbeschlagene Holztür, die es den Bewohnern ermöglichte,
ohne große Umwege vom Innenhof her das Gotteshaus zu besuchen. Dessen Hauptportal an der Westseite wurde nur an hohen Feiertagen
geöffnet, wenn man die Bewohner der nahe gelegenen Stadt Bar-sur-Aube zur gemeinsamen Messe einlud.
Der noch recht neue, sakrale Bau war ein Meisterwerk der Statik. Davon zeugte die kunstvolle Deckenkonstruktion mit ihren
bunt bemalten, spitz zulaufenden Bögen und den exakt gesetzten Schlusssteinen, in deren Mitte das Ordenskreuz herausgemeißelt
war. Das Dach war mit |38| sorgfältig geschnittenen Holzschindeln gedeckt, und die sechs schönen, gotischen Kirchenfenster bestanden allesamt aus kunstvoll
geschliffenem, bunt bemaltem Glas. Über der Westseite thronte eine prächtige Rosette, durch deren bunte Rundscheiben die letzten
Strahlen der Nachmittagssonne schillernde Muster auf den Altarstein warfen. Schweigend betrachtete Gero die vielfarbigen Lichtpunkte,
die einem himmlischen Blütenreigen gleich den Sockel einer beeindruckend großen und schönen Madonnenstatue umspielten.
Im Dämmerlicht des Kerzenscheins hatten die Männer in einem halbrunden Kreis Aufstellung genommen. Der angenehme Duft brennender
Bienenwachskerzen, die in einem schweren, eisernen Rundleuchter steckten, der über dem Altar an einer langen Kette herabhing,
verteilte sich zusammen mit dampfendem Weihrauch im Raum. Abwechselnd begannen die Brüder zu singen, dabei wiederholten sich
die immer wiederkehrenden lateinischen Texte nach einem speziell abgestimmten Rhythmus. Andächtig lauschte Gero der sonoren
Stimme seines Nachbarn, die ihn in einen Zustand fast mystischer Ruhe wiegte und ihn allen Gram für einen Moment vergessen
ließ.
Beim Verlassen der Kapelle ließ Gero den anderen Kameraden den Vortritt.
Er verweilte einen Augenblick vor einem kleineren Altar, der unmittelbar neben dem Eingangsbereich in das Mauerwerk eingelassen
war. Mit gebeugtem Haupt bekreuzigte er sich vor einem unscheinbaren Holzkreuz, bei dem man auf eine leidende Jesusfigur verzichtet
hatte. Ein Vaterunser musste vorab zur Reue gereichen. Sein Ausrutscher in den Mannschaftsräumen verlangte nach Ablass, und
den konnte Gero nur erwarten, wenn er mindesten einhundertzwanzig Vaterunser betete. Doch dafür hatte er keine Zeit. Obwohl
ihm der Appetit durch das Gespräch mit d’Our vergangen war, wartete im Refektorium das abendliche Vespermahl, dem er ohne
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