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Das Geheimnis des toten Fischers

Das Geheimnis des toten Fischers

Titel: Das Geheimnis des toten Fischers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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sondern — « Abrupt brach sie
den Satz ab.
    »Sie meinen, sie wird von Abe Snelling
ausgehalten? Er unterstützt sie doch nur, bis sie wieder einen Job in der
Sozialarbeit gefunden hat.«
    Mrs. Anthony seufzte. »Der auch?«
    »Was?«
    »Nichts. Einen Job als
Sozialarbeiterin, wie? Ich habe sie immer davor gewarnt, diesen Beruf zu
studieren. Man ist viel zu sehr von der Regierung abhängig, und der Regierung
kann man nicht trauen. Jetzt ist sie arbeitslos, genau wie ihr Vater, als die
Fischerei kein Geschäft mehr war.«
    »Janes Vater war Fischer?«
    »Sein ganzes Leben lang. Er hatte
nichts anderes gelernt. Und als die Fischerei kein Geschäft mehr war, hat er
nicht gewußt, was er mit sich anfangen soll. Jetzt ist er tot, schon seit fast
dreißig Jahren.« Ihre Worte waren wie ein trauriger Gesang, wie eine Grabrede,
die sie in diesen dreißig Jahren immer und immer wiederholt hatte. »Ich habe
mein kleines Mädchen ganz allein großziehen müssen, habe als Dienstmädchen
gearbeitet für die sogenannten feinen Leute in Port San Marco. Ich habe dafür
gesorgt, daß Jane alles hatte, genau wie die Kinder der anderen Leute. Und sie
hat es mir vergolten. Mein Gott, wie sie es mir vergolten hat!« Sie lachte
bitter.
    Ich verhielt mich still, wollte nicht
in die Erinnerungen eindringen. »Wie denn?« fragte ich endlich leise.
    »Ich habe etwas Geld gespart, wollte
sie auf die Kunstschule in Port San Marco schicken, damit sie sich als
Photographin ausbilden läßt. Sie hätte zu Hause leben und studieren können,
vielleicht mit einer Nebenbeschäftigung. Aber nein, sie mußte unbedingt aufs
College, mußte hinauf nach San Jose. Und dann hat sie immer diese verrückten
Ideen gehabt von sozialer Verantwortung und so, und sie wollte für solche
Menschen arbeiten, die weniger glücklich sind als sie. Das waren genau ihre
Worte: ›weniger glücklich als ich‹. Wenn sie jemandem helfen wollte, der
weniger glücklich war als sie, dann hätte sie nur ihrer eigenen Mutter zu
helfen brauchen.«
    Sie schwieg, und ich setzte mich wieder
auf das Sofa. »Wann ist Jane zurückgekommen von San Jose?«
    »Nachdem sie ein Jahr lang mit Säufern
und Rauschgiftsüchtigen gearbeitet hat. Ich dachte, damit wäre bei ihr der
Traum von der sozialen Verantwortung geplatzt. Aber nein, sie mußte sich einen
Job im ›The Tidepools‹ besorgen, weil sie noch nicht genug hatte und wieder für
›Unglückliche‹ arbeiten wollte. Unglücklich, von wegen.«
    »Warum sagen Sie das so bitter?«
    »Um dorthin zu kommen, muß man reich
sein. Reich und sterbenskrank. Aber wird einem die Arbeit für diese Leute
gelohnt? Von wegen. Jane mußte noch nebenher arbeiten, in einer Klinik für
Rauschgiftsüchtige. Und sie war nicht die einzige. Ihre Freundin Liz hat auch
nebenher gearbeitet — in einer Apotheke. Und wofür hat Jane dieses zusätzliche
Geld ausgegeben? Ist sie vielleicht gelegentlich zu mir gekommen und hat mich
unterstützt? Nein, sie ist in ein teures Apartment nach Port San Marco gezogen
und hat was mit diesem Don angefangen. Oh, Don war in Ordnung, das ist mir
inzwischen klargeworden. Sie hat schon viel schlimmere Mißgriffe getan...« Sie
verstummte, schaute ins Leere und ließ dabei vermutlich alle Männer vor ihrem
geistigen Auge vorüberziehen, die ihrer Meinung nach schlimmer waren als Don.
    »Mrs. Anthony«, fragte ich, »wie heißt
Don mit Familiennamen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Lassen wir
das. Ich möchte ihn nicht hineinziehen.«
    »Vielleicht hat sie ihn besucht?«
    »Nein, Don bestimmt nicht. Er will
nichts mehr von ihr wissen. Nach allem, was sie ihm angetan hat.«
    »Was hat sie ihm denn — «
    »Nein.« Sie schüttelte energisch den
Kopf. »Das ist vorbei. Ich will ihn in Ruhe lassen.«
    Ich seufzte. »Sie haben also keine
Ahnung, wo sie sein könnte?«
    »Ich habe keinen Schimmer, und es ist
mir auch egal.« Aber der Ausdruck in ihren Augen verriet, daß es ihr ganz und
gar nicht gleichgültig war. »Warum müssen Sie eigentlich mit ihr sprechen? Geht
es um einen Job?«
    Es tat mir weh, sie enttäuschen zu
müssen. »Nein. Um ehrlich zu sein, Mrs. Anthony — ich kenne Ihre Tochter gar
nicht.«
    Ihre traurigen Augen starrten mich
verblüfft an. »Aber Sie sagten doch — «
    »Ich bin Privatdetektiv. Abe Snelling
hat mich engagiert, damit ich Jane finde. Sie hat vor einer Woche sein Haus
verlassen, ohne ihm zu sagen, wohin sie geht, und Abe fürchtet, es könnte ihr
etwas zugestoßen sein.«
    »Ein Privatdetektiv.«

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