Das Geheimnis des toten Fischers
gedacht, daß das nötig sein würde, in einem Dorf wie Salmon
Bay. Ich fuhr weiter, kam an der ›Shorebird Bar‹ vorüber und an einem Geschäft,
das Köder und Angelzeug verkaufte, und erreichte schließlich einen
halbverfallenen Pier, der so aussah, als hätte seit Jahren niemand mehr einen
Fuß darauf gesetzt. Zwei braunweiß gefleckte Straßenköter trotteten die Straße
entlang, aber sonst entdeckte ich kein Zeichen von Leben. Außer dem
Gemischtwarenladen waren alle Geschäfte geschlossen.
Ich wendete vor dem Pier und fuhr
zurück bis zur Bootswerft. Es gab tatsächlich kein einziges Straßenschild im
Ort. Nachdem ich nahe dem Tor des Maschendrahtzaunes geparkt hatte, stieg ich
aus und betrat das Gelände der Bootswerft. Die Hütte, die als Büro diente, war
geschlossen, und die einzigen Geräusche, die ich vernahm, waren die Schreie der
Möwen und das Kratzen und Schaben des Spachtelmessers am Bug des grünen Bootes.
Ich ging auf den Mann zu und warf dabei einen Blick auf die Boote, die rundum
vertäut lagen.
Das waren keine luxuriösen Jachten wie in
Port San Marco, sondern robuste Boote, die allesamt schon bessere Tage gesehen
hatten. Am Rand der Ufermauer war eine Tankstelle mit mehreren Benzin- und
Dieselpumpen, aber es schien niemanden zu geben, der sie hätte bedienen können,
und auch niemanden, der dort getankt hätte. Wäre da nicht dieser ältere Mann
gewesen, der an dem Boot arbeitete, hätte ich gedacht, in einen völlig
verlassenen Ort geraten zu sein. Meine Füße knirschten auf dem Kies, als ich
mich ihm näherte, aber der Mann blickte nicht von seiner Arbeit auf.
»Entschuldigen Sie«, sprach ich ihn an.
Jetzt hob er den Kopf, schaute mich an,
nickte kurz und setzte seine Arbeit fort. Er hatte schwarzes Haar, einen
dunklen Vollbart, und obwohl er, aus der Nähe betrachtet, nicht viel älter als
vierzig sein konnte, war sein Gesicht so gegerbt und faltig wie das eines alten
Mannes.
»Ich suche die Hydrangea Lane. Können
Sie — «
»Wen suchen Sie denn?«
»Wie bitte?«
»Wen, in der Hydrangea Lane?«
»Eine Mrs. Anthony. Sylvia Anthony.«
Die Hand mit dem Spachtelmesser hielt
in der Bewegung inne. »Weiß sie, daß Sie kommen?«
»Ja, ich bin mit ihr verabredet.«
Er stellte seine Arbeit ein und wischte
das Spachtelmesser an der ausgebleichten Hose ab. »Wirklich?«
Mit abweisender Verschlossenheit hatte
ich gerechnet, aber nicht mit derart direkten Fragen. »Natürlich. Hören Sie — «
»War ja nur eine Frage.« Sein Ton klang
versöhnlich, aber die dunklen Augenbrauen zogen sich argwöhnisch zusammen.
»Können Sie mir sagen, wie ich dorthin
komme? Ich habe kein einziges Straßenschild gesehen.«
»Natürlich nicht.« Sein Gesicht verzog
sich zu einem spöttischen Lächeln. »Gibt ja auch keine.«
»Und wie findet man hier jemanden?«
»Dazu braucht man keine
Straßenschilder.«
»Wenn man hier wohnt vielleicht nicht,
aber was machen Fremde?«
Das Lächeln erstarb in seinem Gesicht.
»Fremde sind hier nicht willkommen.« Seine Worte klangen wie eine Drohung, und
seine Hand schien fester das Spachtelmesser zu umfassen.
Doch ich gab nicht auf. »Das kann ich
mir gut vorstellen. Aber Mrs. Anthony erwartet mich, und ich möchte sie nicht
warten lassen.«
Der Mann musterte mich einen
Augenblick, dann wandte er sich wieder dem Boot zu und fuhr fort, die Farbe
abzuschaben. »Fahren Sie bis zur letzten Straße rechts, die dann bis zum Ende,
dann links. Es ist ein weißes Haus mit einem Zaun aus Treibholz und blauen
Hortensien im Vorgarten, eine Unmenge davon. Dort finden Sie Sylvia Anthony.«
Ich bedankte mich und verließ die
Bootswerft, ein wenig bedrückt wegen seiner Feindseligkeit. Waren alle Bewohner
des Dorfes wie er? Oder war ich zufällig auf einen besonders verbitterten
Sonderling gestoßen?
Wenn der Mann auf der Bootswerft von
Unmengen von Hortensien gesprochen hatte, dann hatte er damit nicht
übertrieben. Sie füllten den kleinen Vorgarten von Mrs. Anthonys Haus, die
blauen Blüten drangen durch den windschiefen Zaun aus Treibholz und ergossen
sich in einer wahren Flut von der Veranda herab. Das Haus war frisch getüncht,
im Gegensatz zu den Häusern in der Nachbarschaft, die schäbig aussahen und
deren Gärten teilweise an Abfallhalden erinnerten. Ich ging durch das Gartentor
über einen Weg, der von Muschelschalen begrenzt war, klopfte an die Tür. Vor
den Fenstern waren die Jalousien heruntergelassen, und ich fragte mich, ob
Janes Mutter schon zurück
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