Das Geheimnis des toten Fischers
drehte sie um.
Und schaute in das leblose Gesicht von
Jane Anthony.
»Nein!« stieß ich hervor. Das Wort
dröhnte in meinen Ohren.
Was konnte passiert sein? Ich nahm
meine Taschenlampe und richtete den Lichtstrahl auf Jane. In Brusthöhe ihres
weißen Pullovers entdeckte ich einen roten Fleck. Sie war also nicht in der
Dunkelheit vom Pier gestürzt und hatte sich dabei vielleicht das Genick gebrochen.
Sie war ermordet worden. Erstochen. Oder erschossen.
Ich suchte die nähere Umgebung nach der
möglichen Tatwaffe ab, fand aber nichts. Als ich mich erhob, begann mein Puls
plötzlich zu rasen, und ich fürchtete einen Augenblick lang, ich würde einen Schock
erleiden. Polizei. Ich mußte die Polizei rufen. Ich erinnerte mich, eine
Telephonzelle gesehen zu haben vor der Shorebird Bar. Hastig kletterte ich
wieder hinauf aufs Land und begann zu laufen.
Wie zu befürchten, gab es im Ort keinen
Notruf. Der Mann in der Vermittlung verband mich mit der Polizei in Port San
Marco. Ich nannte meinen Namen und Beruf und wo ich auf die Polizei warten
würde, dann verließ ich die Telephonzelle. Bis die Polizei eintraf, mußte ich
der Versuchung widerstehen, in die Bar hineinzugehen und einen Schluck zu
trinken.
Es dauerte zehn Minuten, bis ich die
Sirenen hörte, und als der Polizeiwagen vorfuhr, standen einige Männer um mich,
die neugierig aus der Bar gekommen waren. Ich stieg in den Streifenwagen ein
und wies den Beamten den Weg zum Pier. Die Männer folgten zu Fuß.
Ich zeigte ihnen, wo Janes Leichnam
lag. Dann kehrte ich zum Polizeiwagen zurück. Ein Kriminalbeamter in Zivil
namens Barrow sprach kurz mit mir und bat mich, später für ein ausführlicheres
Gespräch zur Verfügung zu stehen. Ein Krankenwagen traf ein, dann ein Wagen mit
den Männern vom Polizeilabor. Die Zahl der Neugierigen wurde größer.
Der Wagen in Sylvia Anthonys Einfahrt
mußte also doch Janes Wagen gewesen sein! Also hatte Jane ihre Mutter noch
einmal besucht. Aber wo war Mrs. Anthony? Warum hatte Jane diesen verlassenen
Pier aufgesucht? Und was war mit dem Fischer, den ich an mir hatte vorbeilaufen
sehen? Hatte er Janes Leiche entdeckt? Oder war er derjenige, der...
Die Polizei hatte tragbare Scheinwerfer
aufgestellt; sie tauchten die Szenerie in grelles Licht, als die Sanitäter die
Leiche aus dem Wasser zogen und an Land trugen. Die Menge der Schaulustigen
bewegte sich vorwärts wie ein einziger Mann. Gespannte Gesichter, die gierig
einen Blick auf die Tote erhaschen wollten. Jung und alt, Männer und Frauen,
alle zeigten den gleichen Ausdruck einer unverhohlenen Sensationslust.
Mein Zorn wuchs, je länger ich sie
beobachtete, und ich war dabei, mich angewidert abzuwenden, als mein Blick sich
mit dem aus zwei dunklen, vertrauten Augen traf. John Cala und ich starrten uns
ein paar Sekunden lang an, dann trat er zurück und tauchte in der Menge unter.
Kapitel
8
Als ich die Polizeistation von Port San
Marco kurz nach Mitternacht verließ, begegnete ich einem Kriminalbeamten in
Zivil, der Sylvia Anthony hereinführte. Die Beamten hatten sie, wie mir
Lieutenant Barrow zuvor mitgeteilt hatte, bei einem Bingoabend der
Kirchengemeinde entdeckt, und mittlerweile hatte sie vermutlich ihre Tochter
identifiziert. Mit John Cala hatte die Polizei kein solches Glück gehabt; der
Fischer war und blieb verschwunden. Barrow hatte Erkundigungen eingeholt, und
dabei hatte sich herausgestellt, daß John Cala über ein beträchtliches
Vorstrafenregister verfügte, darunter eine Verurteilung wegen schwerer
Körperverletzung.
Mrs. Anthony hielt den Kopf gesenkt,
und sie klammerte sich an den Arm des Kriminalbeamten. Sie schien
zerbrechlicher und älter, als sie mir bei unserer ersten Begegnung vorgekommen
war. Als ich auf sie zuging, blickte sie auf. Ihre Augen waren rotgerändert,
aber tränenlos, und die Falten der Bitterkeit, die ich zuvor schon bei ihr
bemerkt hatte, schienen jetzt noch tiefer in ihr Gesicht eingegraben.
Sie sagte: »Lassen Sie mich in Ruhe.«
Ich blieb stehen.
»Gehen Sie weg«, beschimpfte sie mich.
»Wenn Sie hier nicht herumgeschnüffelt hätten, wäre mein Mädchen noch am
Leben.«
Der Kriminalbeamte zog die Augenbrauen
hoch, schüttelte den Kopf in meine Richtung und steuerte dann mit Mrs. Anthony
in Richtung auf den Wachraum. Ich schaute den beiden nach, dann ging ich hinaus
zu meinem Wagen. Feiner Nebel hing um die Lampen auf dem Parkplatz, und die
Windschutzscheibe meines Wagens war von der Feuchtigkeit beschlagen. Ich
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