Das Geheimnis des toten Fischers
Tagen reich geworden waren, als hier die Fischerei noch
blühte. Jetzt hatte man die Häuser in einzelne Wohnungen unterteilt oder in
Pensionen verwandelt.
Ich drückte auf Del Boccios Klingel,
und augenblicklich summte der automatische Türöffner. Ich betrat eine Art Foyer
mit Parkettboden, von dem eine große Treppe von der Mitte der Halle nach oben
führte. Da alle Türen im Parterre geschlossen waren, ging ich zur Treppe und
schaute hinauf. Ein Mann mit einem schmalen, sonnengebräunten Gesicht schaute
zu mir herunter, und die Fülle seines schwarzen, gelockten Haars fiel ihm in
die Stirn. Als er mich sah, zeigten die Lippen unter dem dichten Schnurrbart
ein breites Grinsen.
»Eine hübsche junge Lady, die mich zu
sprechen wünscht! Damit ist mein Morgen gerettet.«
Sein Lächeln wirkte ansteckend. »Wenn
Sie das ehrlich meinen, ist der meine ebenfalls gemacht.«
»Sie sind wirklich hier, um mich zu
sprechen?«
»Wenn Sie Don Del Boccio sind?«
»Der bin ich. Handelt es sich um einen
Fanbesuch?«
»Ich wollte, es wäre so.« Ich nannte
ihm meinen Namen und erklärte ihm, daß ich für All Souls in San Francisco
arbeitete.
Er schaute mich überrascht an, bat mich
aber, heraufzukommen. Ich ging bis zum Treppenabsatz im zweiten Stock, wo er
vor einer offenen Tür wartete. Er war ungefähr einsachtzig groß, ein bißchen
untersetzt und trug ausgebleichte Jeans und ein kariertes Flanellhemd. Als ich
oben angekommen war, schaute er mich prüfend an, wobei in seinen braunen Augen
ein anerkennender, aber nicht herausfordernder Ausdruck stand. Dann wandte er
sich um und sagte: »Kommen Sie doch herein.«
Ich folgte ihm in einen großen, von der
Sonne durchfluteten Raum. Ein Teil des Raumes, der Tür gegenüber, war als Küche
eingerichtet und durch eine Frühstücksecke mit Hockern davor vom übrigen Wohnraum
abgetrennt. Rechts davon befand sich der Schlafplatz. Ein Flügel, ein Schlagzeug
und eine Stereoanlage teilten sich den restlichen Platz mit Hunderten von
Schallplatten, Stapeln von Büchern und einem großen blauen Teppich. Riesige
Kissen lagen auf dem Boden verstreut, doch darüber hinaus gab es keinerlei
Möbel.
Ich stand da und schaute mich um. Es
war eines der anheimelndsten Apartments, das ich je betreten hatte. Wenn ich
doch in San Francisco etwas finden könnte, das nur halb so hübsch wäre!
»Ein gemütliches Apartment«, sagte ich
bewundernd.
»Danke. Bitte, nehmen Sie doch Platz,
wenn es Ihnen nichts ausmacht, auf dem Boden zu sitzen.« Er ließ sich auf eines
der Sitzkissen nieder. »Ich bin erst letzten Monat hier eingezogen, und mir
gefällt die Wohnung. Ich habe immer von einem Apartment geträumt, wo ich alles,
was ich zum Leben brauche, in einem Raum unterbringen kann. Ich kann vom Bett
zum Klavier und vom Klavier in die Küche und von der Küche zu meinen Trommeln
hüpfen und zurück. Das alles ohne die geringste Mühe. Wissen Sie, ich versuche,
das Beste aus allem, vor allem meiner Freizeit, zu machen.«
Don Del Boccio redete im Privatleben
genauso viel wie am Mikrophon des Radiosenders — allerdings bei weitem
charmanter.
»Ich kann mir gut vorstellen, was Sie
unter Freizeit verstehen«, sagte ich. »Man hat nie genug davon, und sie ist
immer kostbar. Außerdem haben Sie vermutlich ungewöhnliche Arbeitszeiten, wegen
Ihrer Sendung im Radio.«
Er schlug sich die Hand in einer
übertriebenen Geste des Entsetzens vor die Stirn. »Mein Gott, sagen Sie bloß
nicht, daß Sie sich das angehört haben!«
»Ich habe gestern nachmittag für zehn
Minuten zugehört.«
»Zehn Minuten? Lange genug. Eine
schreckliche Sendung. Ich hasse Rockmusik und diese dummen Werbespots und
Teenager, die ständig anrufen. Ich trage während der ganzen Sendung Ohropax.«
Ich lachte. »Du lieber Himmel, wenn Sie
diese Arbeit so hassen, warum tun Sie nicht etwas anderes?«
»Ich muß meine Brötchen verdienen und
die Miete bezahlen. Wissen Sie, eigentlich bin ich Konzertpianist.« Er ›spielte‹
eine Tonleiter in der Luft. »Bedauerlicherweise bin ich kein besonders guter
Pianist. Und außerdem macht der Job ja auch irgendwie Spaß. Verrückt, aber
andererseits auch ganz lustig.«
Ein Freund von mir war früher ebenfalls
Pianist gewesen — jetzt spielte er als drittklassiger Rockmusiker. Die
Stellenangebote für Pianisten waren vermutlich noch rarer als die im sozialen
Bereich. »Wo haben Sie studiert?«
»New York. Genau gesagt, in Rochester
im Staate New York. An der Eastman-Musikakademie. Aber ich
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