Das Geheimnis des toten Fischers
über Miss Anthony sagen. Außerdem ist es ja
schon eine ganze Weile her, seit ich sie zuletzt gesehen habe.«
Genau das war es, was ich befürchtet
hatte. Ich seufzte enttäuscht, nahm das Photo und steckte es wieder in meine
Handtasche. Aber da ich schon einmal hier war, konnte ich wenigstens versuchen,
herauszufinden, was das für mysteriöse Unstimmigkeiten waren, über die bisher
keiner mit der Sprache herausrücken wollte. »Erzählen Sie mir ein bißchen über ›The
Tidepools‹, Doktor Keller«, bat ich ihn. »Sind Sie der Direktor, oder gehört
Ihnen vielleicht die ganze Einrichtung?«
»Ich bin Mitbesitzer, zusammen mit Mrs.
Bates, die die kaufmännische Direktorin und Leiterin der Personalabteilung
ist.« Keller hatte sein Spiegelei kalt werden lassen. Für einen Mann seiner
Statur war sein Appetit rasch geschwunden — aber das rührte vermutlich vom
Alkohol. Er stocherte mit der Gabel auf dem Teller und aß einen Bissen, dann
schob er Gabel und Teller beiseite.
»Und die Bezeichnung lautet ›Hospiz‹?«
fragte ich.
»Ja. Es ist ein Konzept, das seit
einiger Zeit in England sehr populär ist und hier in Amerika in der Mitte der
siebziger Jahre bekannt wurde. Wir helfen Menschen, die unheilbar krank sind,
ihr Leben so erfüllt und lebenswert zu Ende zu führen, wie das unter den
Umständen möglich ist. Unsere Philosophie geht davon aus, daß der Tod nur eine
Stufe des menschlichen Seins darstellt. Man sollte ihm mit Würde begegnen, und wir
helfen unseren Patienten dabei, dieses Ziel zu erreichen.«
»Und wie unterscheidet sich ein Hospiz,
sagen wir von einem Krankenhaus oder Sanatorium?«
»Nun, wie gesagt, alle unsere Patienten
leiden an unheilbaren Krankheiten. Wir wollen und können keine Versuche
unternehmen, sie zu heilen. Statt dessen erleichtern wir ihnen die Schmerzen
durch spezielle Medikamente, die wirksam sind, ohne daß die Patienten dadurch
in eine Art Dämmerzustand geraten. Außerdem ermutigen wir die Angehörigen, so
viel wie möglich mit den Patienten zusammen zu sein. Jeder Patient wird von
einem Team, das aus einem Arzt, einer Krankenschwester, einem Sozialhelfer und
einem besonders ausgebildeten Freiwilligen besteht, betreut. Alle Beteiligten
und der Patient kommen einander menschlich sehr nahe; es herrscht eine
ungewöhnlich warme, herzliche Atmosphäre.«
»Das muß sehr teuer sein. Ich meine,
wenn jeder einzelne Patient über einen ganzen Stab von Helfern verfügen kann.«
Keller zuckte mit den Schultern.
»Krankheit ist noch nie billig gewesen.«
»Dann müssen Ihre Patienten vermögende
Leute sein.«
»Nicht alle. Wir nehmen auch Patienten
auf, die uns von Versicherungen geschickt werden. Und es besteht immer die
Möglichkeit eines speziellen Arrangements.«
»Zum Beispiel?«
»Sie interessieren sich in
bemerkenswerter Weise für unsere Einrichtung.« Er lächelte, aber ich fühlte,
daß er jetzt auf der Hut war. »Wenn jemand, sagen wir, nicht genügend flüssiges
Geld hat, aber ein Haus besitzt oder andere Werte, dann bitten wir ihn, ein
Testament zu unseren Gunsten aufzusetzen. Nach seinem Tod können wir dann in
Höhe der entstandenen Kosten Anspruch auf sein Vermögen erheben, und zwar
vorrangig. Was dann noch übrigbleibt, erhalten seine Erben.«
»Ich verstehe. Nun, ich kann mir
vorstellen, daß es eine Erleichterung ist, seine letzten Tage im ›The Tidepools‹
zu verbringen.«
»Das kann ich Ihnen versichern. Wir tun
wirklich unser Bestes.«
»Übrigens, eine andere Ihrer früheren
Angestellten — Liz Schaff — erwähnte gewisse Unstimmigkeiten, die aufgetreten
seien, kurz bevor sie und Jane Anthony das Hospiz verließen.«
Keller zog die Stirn in Falten.
»Unstimmigkeiten?«
»Ja, sie wollte sich nicht näher darauf
einlassen.«
Seine Augen verrieten Unsicherheit.
»Wann haben diese beiden Frauen das Hospiz verlassen?«
»Ich würde sagen, vor acht Monaten bis
einem Jahr.«
»Das erklärt alles.«
»Dann wissen Sie, was Miss Schaff
gemeint hat?«
»Ja, aber es war eigentlich nicht der
Rede wert. Es wundert mich, daß sie es überhaupt erwähnt hat. Es hatte übrigens
nichts mit Miss Schaff oder Miss Anthony zu tun.«
»Was war es dann?«
»Ein Problem mit einem der Patienten.
Oder genauer, mit einem Familienmitglied eines unserer Patienten. Ich möchte
nicht näher darauf eingehen, vor allem, da es sicher nicht wieder vorkommen
wird.«
Wegen einer unbedeutenden Angelegenheit
verhielten sich alle Beteiligten sehr nervös, wenn man sie
Weitere Kostenlose Bücher