Das Geheimnis des toten Fischers
leisten, um ihren Mörder zu finden. Das ist Aufgabe der
Polizei.«
Ich nickte. »Wie haben Sie Jane
kennengelernt?«
»Nach einer Vorlesung über
Photographie, die ich an der Universität von San Francisco gehalten habe. Sie
hat mir anschließend ein paar Fragen gestellt. Es waren intelligentere Fragen,
als ich sie normalerweise zu hören bekomme, also habe ich Jane zu einem Drink
eingeladen. Und wir haben uns angefreundet.«
»Dann ist sie zu Ihnen gezogen?«
»Ja, als sie das Zimmer nicht mehr
bezahlen konnte, in dem sie wohnte. Wir haben ruhig und freundschaftlich
nebeneinander gewohnt, bis sie verschwunden ist.«
»Hatten Sie gemeinsame Freunde?«
»Nein. In persönlichen Dingen ist jeder
seine eigenen Wege gegangen.«
»Hat sie jemals über ihre Vergangenheit
gesprochen, bevor sie nach San Francisco kam?«
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich.
»Sharon, was soll das?«
»Ich bin neugierig. Ich habe ihre
Leiche gefunden. Ich fühle mich irgendwie... Wie soll ich es ausdrücken? Als ob
mich etwas mit ihr verbindet.«
Er richtete sich auf und ging zur Tür.
Ich folgte ihm.
»Abe, hat Jane jemals ›The Tidepools‹
erwähnt?«
Er drehte sich um, und sein Gesicht
wirkte fahl im Licht des Studios.
»Hat sie jemals ›The Tidepools‹
erwähnt?« wiederholte ich. »Oder Allen Keller? Oder Ann Bates?«
»Nein.« Er deutete an, daß wir
hinuntergehen sollten, und ich betrat die Treppe zum Parterre.
»Was ist mit Don Del Boccio? Oder mit
einem Fischer namens John Cala?«
»Ich habe nie von ihnen gehört.« Er war
direkt hinter mir und trieb mich geradezu die Treppe hinunter, daß ich
achtgeben mußte, um nicht zu stolpern.
»Was ist mit einer Patientin im ›The
Tidepools‹ namens Barbara Smith?«
Wir hatten das untere Ende der Treppe
erreicht. Snelling verstellte mir den Weg ins Wohnzimmer und zwang mich statt
dessen auf den Korridor. »Wer sind alle diese Leute? Was haben sie mit Jane zu
tun?«
»Einige sind ihre früheren Arbeitgeber.
Don Del Boccio war einmal ihr Liebhaber. Über Cala weiß ich nichts — er wohnt
neben ihrer Mutter. Ich weiß auch nichts über Barbara Smith, nur daß...«
Snelling hatte die Sicherheitskette
ausgehängt und die Haustür weit geöffnet. »Nur daß — was?«
»Nur daß...« Ich hielt inne, einen Fuß
auf der Schwelle. »Nur daß ich glaube, Jane hat sie getötet.«
Es war mir erst in diesem Augenblick
bewußt geworden, und es war ein Schuß ins Blaue, aber er schien Snelling zu
treffen. Er riß die Augen auf und wurde noch blasser, dann streckte er eine
Hand aus und stieß mich regelrecht zur Tür hinaus.
»Machen Sie, daß Sie weiterkommen«,
zischte er. »Und kehren Sie nie hierher zurück.
Kapitel
11
Eine weitere unangenehme Überraschung
erwartete mich bei All Souls. Als ich das Gebäude betrat, prallte ich mit Hank
zusammen. Seine Augen hinter der dicken Hornbrille richteten sich von meinem
Gesicht auf die noch immer prall gefüllte Aktenmappe in meiner Hand.
»Du hast die Dokumente noch nicht
abgegeben!«
»Äh — nein.«
Er schaute auf seine Armbanduhr. »Es
ist fast halb fünf. Was hast du den ganzen Nachmittag getrieben?«
Ich konnte es ihm nicht sagen. Nachdem
ich Snelling verlassen hatte, hatte ich mich in der Nähe des Rathauses in ein
MacDonalds-Restaurant gesetzt und dort vom oberen Stockwerk dem Treiben auf der
Van Ness Avenue zugesehen, mich dabei zwischendurch immer wieder daran
erinnert, daß ich gefälligst an die Arbeit gehen müßte. Aber ohne Erfolg, und
nach drei Tassen Kaffee und zwei Stunden Nachdenken über Jane Anthony und Abe
Snelling hatte ich mich entschlossen, ins Büro zurückzukehren.
»Ich hatte anderes zu erledigen«,
rechtfertigte ich mich lahm.
»Sharon, diese Dokumente sind wichtig.«
»Ich weiß.«
»Warum hast du sie dann nicht
abgegeben?«
»Es ist mir was dazwischen gekommen.«
»Sharon, das ist doch sonst nicht deine
Art.«
»Tut mir leid.«
»Ist das alles, was du dazu zu sagen
hast — es tut dir leid?«
Ich war über mich selbst verärgert.
»Was soll ich denn tun — mich vor dir auf die Knie werfen und um Verzeihung
bitten?«
»Du könntest zumindest erklären — «
»Schau, Hank, ich hatte einen
miserablen Tag.« Ich versuchte, an ihm vorbei und in mein Büro zu huschen. »Die
Dokumente werden morgen früh als erstes abgeliefert.«
Er verstellte mir den Weg. »Es wäre
wichtig gewesen, daß einige heute schon im Rathaus angekommen wären.«
»Warum hast du sie dann nicht — «
Weitere Kostenlose Bücher