Das Geheimnis des toten Fischers
den Hocker mit dem
halb aufgeplatzten Polster, der neben Hank stand. Er saß da, den Vorderkörper
über die Theke gebeugt und ein Glas vor sich, das, wie ich wußte, Scotch und
Soda enthielt. Wie üblich war die Remedy Lounge dunkel und leer. Die Gläser auf
den Regalen hatten Wasserflecken, auf dem Spiegel war Fliegendreck, und der
Barkeeper hatte einen großen, undefinierbaren Fleck auf seiner grauweißen
Schürze.
Hank schaute mich von der Seite an,
dann wandte er sich wieder seinem Glas zu. »Schon gut. Ich lade dich ein.«
»Aber es ist ein Friedensangebot.«
»Das meine auch.«
Da er darauf bestand, bestellte ich
Bourbon und Wasser. Der Barkeeper stellte das Glas vor mich hin, und etwas vom
Inhalt schwappte über.
»Das mit den Dokumenten tut mir leid«,
lenkte ich ein. »Ich war in Gedanken versunken, und die Zeit ist einfach so
vergangen. Aber morgen bringe ich sie als erstes hin.«
Er nickte.
»Ich habe in letzter Zeit offenbar
Schwierigkeiten, obenauf zu bleiben«, fuhr ich fort. »Vielleicht bin ich
urlaubsreif.«
»Vielleicht.«
Ich beugte mich nach vorn, legte meine
Hand auf die Theke, die klebrig war, und zog sie hastig wieder zurück. »Also
dachte ich — du könntest mir ein paar Tage frei geben? Der Mietstreit geht erst
nächste Woche vor Gericht, und wenn ich diese Dokumente abgeliefert habe, steht
eigentlich nichts mehr für mich an, oder?«
Langsam wandte sich Hank mir zu und
schaute mich an.
»Mit dem Wochenende könnte ich fünf
Tage freimachen. Das würde mir bestimmt guttun.«
»Wohin willst du denn?«
»Ach, ich weiß nicht.« Ich trank einen
Schluck. »Vielleicht nach Port San Marco. Es hat mir gut dort gefallen; ich bin
vor vielen Jahren als Kind dort gewesen. Es ist noch warm genug, um am Strand
liegen zu können, und ich könnte außerdem — «
»M-m.«
Ich ignorierte seinen skeptischen
Blick. »Ich könnte mich erholen.«
»Stimmt.«
»Also schön, ich gebe zu, da ist noch
was anderes.«
»Hätte ich mir fast denken können.«
»Ich habe einen Mann dort
kennengelernt.«
»Ach, tatsächlich?«
»Ja. Er heißt Don Del Boccio. Er ist
Diskjockey, aber auch ein klassischer Musiker. Er hat eine wunderbare Wohnung
und einen schreiend goldlackierten Jaguar und...« Ich ließ die Worte
verklingen, während mir klar wurde, daß Hank mich längst durchschaute. Noch nie
hatte ich ihm freiwillig etwas von meinem Privatleben offenbart, weshalb es ihn
offenbar besonders faszinierte.
»Stimmt«, sagte Hank ziemlich
unvermittelt.
»Hank, ich habe wirklich jemanden
getroffen.«
»Ich hatte auch gar nicht angenommen,
daß du dir das alles aus den Fingern gesaugt hast. Aber du bist auch in einen
Mordfall hineingeschlittert.«
»Richtig.«
Hank gab dem Barkeeper ein Zeichen für
einen neuen Drink. »Shar, hat Snelling nicht gesagt, die Untersuchung ist
abgeschlossen?«
»Ja, aber — «
»Du kannst doch nicht einfach dort
hinfahren und herumschnüffeln — ohne Auftrag eines Klienten.«
»Ich werde nicht ›herumschnüffeln‹.«
»Wie willst du es denn bezeichnen?«
»Schau, Hank, ich habe der Polizei von
Port San Marco alles gesagt, was ich wußte, und sie wußten das zu schätzen. Ich
würde mich, wenn ich dort bin, natürlich als erstes mit dem Lieutenant in
Verbindung setzen, der die Ermittlungen leitet.«
»Und was würdest du ihm sagen?«
»Daß ich wieder da bin, und — «
»Und was?«
»Daß es mich interessiert zu hören, was
sie inzwischen herausgefunden haben.«
»Würdest du ihm auch sagen, daß du
nicht mehr im Auftrag von Snelling handelst?«
»Er würde mich wahrscheinlich nicht
danach fragen.«
»Also würdest du vorgeben, im Auftrag
eines Klienten zu ermitteln.«
»Ja, so könnte man sagen.«
»Sharon, das ist ein Risiko. Du bist
schon öfters auf diese Weise in Schwierigkeiten geraten.«
»Das war einmal.«
»Wie meinst du das?«
Ich trank aus. »Ich bin jetzt
vorsichtiger.«
»Vorsichtiger als zum Beispiel letztes
Jahr?«
»Ja. Ich verspreche es, ich werde als
erstes mit Lieutenant Barrow reden. Und ich werde ihm alles, was ich
herausfinde, sofort berichten. Bitte, Hank, gib mir die paar Tage frei.«
Er starrte in sein Glas. »Ich glaube,
ich könnte dich doch nicht aufhalten. Wenn ich Nein sage, könntest du dich
immer noch krank melden...«
»Glaubst du, ich würde das tun?«
»Ja.« Er schaute mich an, dann traten
Lachfältchen um seine Augen. »Ach, zum Teufel. Meinen Segen hast du. Vielleicht
kommst du zurück und bist ein paar
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