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Das Geheimnis des toten Fischers

Das Geheimnis des toten Fischers

Titel: Das Geheimnis des toten Fischers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Ich
brach ab, merkte, daß das, was ich sagen wollte, mehr als unpassend, um nicht
zu sagen, herausfordernd gewesen wäre.
    »Warum habe ich was nicht getan?«
    Ich schwieg, war mürrisch und fühlte
mich im Unrecht.
    »Warum ich sie nicht selbst abgegeben
habe? Wolltest du das sagen?« Hank beugte sich drohend zu mir vor.
Normalerweise war mein Chef eine Seele von Mensch, aber er konnte es nicht
ertragen, wenn jemand verantwortungslos handelte.
    »Hör zu, Hank, vergessen wir’s.«
    »Warum ich sie nicht selbst abgegeben
habe? Mein Gott, Sharon, ich bin hier der Anwalt!«
    Die Auseinandersetzung drohte peinlich
zu werden. »Und Anwälte geben keine Dokumente ab?«
    »Nicht, wenn sie jemanden dafür
bezahlen, daß er es tut!« Er gestikulierte wild mit den Armen. »Nicht, wenn sie
jemanden für diese Art von Aufgaben auf ihrer Gehaltsliste haben!«
    Warum konnte ich nicht meinen Mund
halten? Warum mußte ich es immer noch schlimmer machen? »Hör auf, Hank. Bitte,
hör auf damit.«
    Er funkelte mich an, dann ging er um
mich herum zur Tür.
    »Wohin gehst du?« Hank verließ das Büro
niemals vor sechs Uhr.
    »Ich gehe weg.«
    »Ja, aber wohin? Ich muß vielleicht
noch mit dir reden, bevor ich Feierabend mache.«
    Er blieb stehen, die Hand auf dem
Türknopf. »Du bist nicht die einzige, die einen schlimmen Tag hinter sich hat.
Ich gehe zur Remedy Lounge, wo ich ein paar Scotch trinken und meine Probleme
in aller Ruhe überdenken werde.«
    »Niemand hat einen so schlechten Tag.
Die Remedy Lounge ist so ziemlich die scheußlichste Bar in Bernal Heights,
vielleicht in der ganzen Stadt.«
    »Aber sie hat ihre Vorzüge.«
    »Als da sind?«
    »Es ist immer dunkel, fast immer leer
und — das beste — du bist dort nie anzutreffen.« Er ging hinaus und
schlug die Tür hinter sich zu.
    Ich seufzte und suchte mein Büro auf.
Hank täuschte sich: Ob er wollte oder nicht, ich würde ihm in ein paar Minuten
in der Remedy Lounge Gesellschaft leisten. Aber zuvor wollte ich einen Freund
bei der Universität von San Francisco anrufen, um festzustellen, ob Abe Snelling
dort jemals Vorlesungen gehalten hatte.
    Mein Freund, Seamus Dunlap, war
momentan nicht in seinem Büro. Ich trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die
Schreibtischplatte und wartete darauf, daß er zurückrief. Er war Photograph,
der für so edle Magazine wie das National Geographie arbeitete und
derjenige, der mich für die Photographie begeistert hatte, als ich mich
Vorjahren mit ihm zu treffen pflegte. Wenn jemand etwas über Abe Snelling
wußte, dann Seamus.
    Mein Telephon summte, und ich nahm den
Hörer ab. »Sharon! Wie geht es dir?« Die Stimme von Seamus schien das kleine
Büro ganz auszufüllen.
    »Ganz gut. Und selbst?«
    »Kann nicht klagen.«
    »Seamus, ich habe eine Frage an dich.«
    »Schieß los.«
    »Hat deines Wissens Abe Snelling jemals
Vorlesungen an der Uni gehalten?«
    »Abe Snelling...« Er überlegte einen
Augenblick. »Nicht, daß ich wüßte. Warum?«
    Ich ignorierte die Frage. »Wenn er im
vergangenen Jahr dort Vorlesungen gehalten hätte, würdest du es wissen, nicht
wahr?«
    »Gibt es hier überhaupt etwas, was ich
nicht weiß?«
    Ich kicherte. »Doch, gelegentlich, wenn
ich mich richtig erinnere.« Ein Jahr, bevor ich ihn kennengelernt hatte, war
die Frau von Seamus mit einem seiner Studenten durchgebrannt. Der gute Mann war
so in seine Arbeit versunken gewesen, daß er es erst nach einer Woche bemerkt
hatte.
    »Komm, das liegt Jahrhunderte zurück.
Und weil wir schon von der Vergangenheit reden — wann sehen wir uns mal
wieder?«
    »Gegen Ende des Monats vielleicht.«
    Seamus war ein attraktiver Mann und
intelligent, aber auf die Dauer etwas schwierig. Nach Greg Marcus konnte ich
nicht schon wieder einen Mann ertragen, der seine Stimmungen nicht zu
beherrschen verstand.
    »Noch immer so schwer zu erreichen wie
eh und je, was? Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Soviel ich weiß, hat Snelling
hier noch nie eine Vorlesung abgehalten — oder sonst irgendwo. Nicht, daß wir
ihn nicht gern gehabt hätten, aber der Mann ist ein ausgesprochener
Einsiedler.«
    Genau das hatte ich erwartet. Und aus
welchem Grund hatte mich Snelling belogen?
    »Danke, Seamus.«
    »He, warum interessierst du dich für
Snelling?«
    »Das sage ich dir, wenn wir uns
treffen.«
    »Ich ruf’ dich an.«
    Und das würde er sicherlich tun — vielleicht
in einem Jahr, wenn es ihm wieder einfiel.
     
    »Kann ich dich zu einem Schluck
einladen?«
    Ich rutschte auf

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