Das Geheimnis des Viscounts
redlich mit dem Teig mühte, stand stumm neben ihr und schaute in die Schüssel.
Gereizt sah sie ihn an. „Das sollen Klöße werden, nur dass Sie es wissen. Für den Eintopf. Ich hab versucht, alles so zu machen, wie die Köchin es immer macht, aber kann sein, dass sie steinhart werden und wie Kleister schmecken. Ich bin nämlich keine Köchin, sondern eine Kammerzofe, und von einer Kammerzofe wird nicht erwartet, dass sie kochen kann . Sie haben gesagt, ich soll kochen, da müssen Sie sich auch mit dem zufriedengeben, was auf den Tisch kommt — und wenn es nicht schmeckt, will ich kein Gemecker hören."
„Ich habe doch gar nichts gesagt”, meinte Pynch milde.
„Das will ich Ihnen auch geraten haben."
„Und ich mag Klöße."
Sally blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ach ja?", fragte sie, auf einmal ganz verlegen.
Er nickte. „Ja, und die hier sehen doch ganz gut aus. Soll ich die Schüssel zum Herd tragen, damit Sie die Klöße in den Eintopf geben können?"
Sally straffte die Schultern und nickte. Sie rubbelte sich den Teig von den Händen, und Mr Pynch nahm die schwere Schüssel und trug sie hinüber zum Feuer. Er hielt die Schüssel, während sie vorsichtig mit einem Löffel kleine Klößchen in den Eintopf gab. Dann deckte sie den Topf mit einem Deckel zu, damit die Klöße garen konnten, und wandte sich zu Mr Pynch um. Ihr Gesicht war von der Glut des Herdfeuers erhitzt, ihr Haar zerzaust und einzelne Strähnen hingen ihr feucht ins Gesicht, doch es scherte sie nicht. Herausfordernd sah sie ihn an und meinte: „So, geschafft. Das hätten Sie nicht gedacht, was?"
„Doch", sagte Pynch. Und dann küsste er sie.
Melisande stapelte Decken auf den Boden und sah, dass ihr Gatte auf und ab ging. Heute Abend war er so unruhig, dass sie das Gefühl hatte, er könne jeden Moment die Beherrschung verlieren und einfach davonlaufen, so schnell er nur konnte. War Sir Alistair deshalb im Dunkeln ausgeritten? Versuchte auch er seinen Dämonen davonzulaufen?
Doch Jasper blieb, und dafür war sie ihm dankbar. Ihre Frage nach Spinner's Falls hatte er nämlich noch nicht beantwortet. Ein Glas Whiskey in der Hand, lief er umher, aber er blieb bei ihr. Das war doch immerhin ein Trost.
„Es war nach Quebec", sagte er unvermittelt. Er stand mit dem Gesicht zum Fenster, und wäre sie nicht die einzige andere Person im Raum gewesen, hätte sie gemeint, dass er gar nicht mit ihr spräche. „Es war September. Wir waren nach Fort Edward beordert worden, um dort den Winter zu verbringen. Einhundert Mann hatten wir bereits in der Schlacht verloren, weitere drei Dutzend mussten wir zurücklassen, da sie den Marsch nicht durchgestanden hätten. Wir waren geschwächt, dachten aber, das Schlimmste läge hinter uns. Die Schlacht war gewonnen, Quebec an uns gefallen, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Franzosen kapitulieren würden und wir den Krieg gewonnen hätten. Der Wind schien sich zu drehen."
Er hielt inne, trank einen Schluck und sprach leise weiter. „Wir waren voller Hoffnung. Wenn der Krieg bald vorüber wäre, könnten wir zurück nach Hause. Das war alles, was wir wollten: heimkehren zu unseren Familien. Uns von den Strapazen des Krieges erholen."
Melisande schlug ein Laken um die Decken. Es roch etwas muffig, schien aber so weit sauber. Und Besseres fände sich hier sowieso nicht. Während sie das Lager bereitete, sann sie über einen etliche Jahre jüngeren Jasper nach, wie er mit seinen Kameraden durch einen Herbstwald am anderen Ende der Welt marschierte. Ein strahlender Sieger nach der gewonnenen Schlacht, voller Vorfreude, bald nach Hause zurückzukehren.
„Wir marschierten einen schmalen Pfad hinab, zu der einen Seite ein steiler Felshang, zur anderen der Fluss. Nur zwei Reiter passten nebeneinander. Reynaud hatte gerade zu mir aufgeschlossen und meinte, wir seien zu versprengt; die Nachhut lag gut eine halbe Meile zurück. Gerade wollten wir Colonel Dar by bitten, das Tempo etwas zu drosseln, damit die anderen aufholen konnten, als sie auch schon zuschlugen."
Seine Stimme klang tonlos. Melisande setzte sich zurück auf die Fersen, um ihn beim Erzählen zu beobachten. Er stand noch immer dem Fenster zugewandt, kehrte ihr den Rücken zu. Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen, um ihn in die Arme zu schließen und an sich zu ziehen, doch hätte das den Fluss seiner Worte aufhalten können. Und sie spürte, dass er sich das Erlebte von der Seele reden wollte, so wie man
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