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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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eine lange schwärende Wunde anstach, damit die Fäulnis abfließen und das Fleisch heilen konnte.
    „In der Schlacht kann man nicht denken", sagte er, stellte es fast verwundert fest. „Man folgt allein seinem Instinkt, wird ganz von seinen Gefühlen beherrscht. Dem Grauen, als ein Pfeil den kleinen Johnny Smith durchbohrt hat. Blinder Zorn auf die Indianer, die sich mit Kriegsgeheul auf deine Männer stürzen, sie töten. Bodenlose Angst, wenn einem das Pferd unter dem Sattel weggeschossen wird. Panik, wenn einem im Bruchteil einer Sekunde klar wird, dass man entweder abspringen muss oder aber unter seinem Ross begraben wird, dem Kriegsbeil der Angreifer ausgeliefert."
    Er nippte an seinem Whiskey, und Melisande versuchte, seine Worte zu begreifen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, gerade so, als spüre sie dieselbe bodenlose Angst, die Panik, die er damals empfunden hatte.
    „Ich glaube, wir haben uns ganz gut geschlagen", fuhr Jasper fort. „So hieß es zumindest im Nachhinein. Ich selbst kann die Schlacht nicht beurteilen. Man nimmt nur wahr, was unmittelbar um einen her geschieht, sein eigenes kleines Gebiet, die eigenen Leute, die es zu verteidigen gilt. Leutnant Clemmons ist gefallen, Leutnant Knight auch, aber erst als ich sah, wie man Darby, unseren Kommandeur, vom Pferd zerrte, wurde mir plötzlich klar, dass wir verlieren würden. Dass wir alle umkommen würden."
    Er lachte leise, doch es war ein trockenes, sprödes Lachen, das ganz anders klang als sonst. „Eigentlich hätte ich Angst verspüren sollen, aber dem war nicht so. Ich stand inmitten von Toten und hieb wie von Sinnen mit meinem Säbel um mich. Und habe dabei noch etliche der kriegerischen Wilden niedergestreckt, aber es hat nicht genügt. Es hat längst nicht genügt."
    Melisande brannten Tränen in den Augen, als sie die müde Resignation in seiner Stimme hörte.
    „Als auch mein letzter Mann gefallen war, überwältigten sie mich. Ein Schlag am Kopf streckte mich nieder, und ich ging zu Boden. Nein, nicht zu Boden. Ich bin auf den toten Tommy Pace gestürzt." Er wandte sich vom Fenster ab und ging hinüber an den Tisch, auf dem die Karaffe mit Whiskey stand, goss sich noch ein Glas ein und trank. „Ich weiß nicht, weshalb sie mich nicht getötet haben. Sie hätten es tun sollen; fast alle anderen hatten sie ja schon hingemetzelt. Aber als ich wieder zu mir kam, hatte ich einen Strick um den Hals und war an Matthew Horn und Nate Growe gefesselt. Dann sah ich, dass auch Reynaud zu ihrer Kriegsbeute gehörte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich war. Zumindest lebte er noch."
    „Was ist geschehen?", flüsterte Melisande.
    Er sah sie auf eine Weise an, dass sie sich fragte, ob ihm ihre Anwesenheit wohl noch bewusst war. „Sie haben uns vier Tage durch die Wälder getrieben. Vier Tage ohne Essen, mit nur ein paar Schluck Wasser. Viele von uns waren verwundet. Matthew Horn hatte sich während der Schlacht eine Kugel im Arm eingefangen. Als John Cooper nicht mehr weitergehen konnte, haben sie ihn in den Wald geführt und sind ohne ihn zurückgekommen. Danach habe ich Matthew gestützt, so gut ich konnte. Niemand sollte merken, wie schwach er war. Wann immer er aufgeben wollte, habe ich ihn weitergedrängt. Ich konnte es mir nicht leisten, noch einen Mann zu verlieren."
    Das Grauen ließ ihr den Atem stocken. „Warst du verletzt?"
    „Nein." Er sagte es mit einem schrecklichen, starren Lächeln.
    „Von der Beule am Kopf abgesehen, ging es mir prächtig. Wir marschierten weiter, bis wir zu einem Indianerdorf gelangten." Er trank sein Glas fast leer, schloss dann die Augen.
    Doch Melisande wusste, dass die Geschichte hier nicht zu Ende war. Irgendetwas musste Sir Alistair seine schrecklichen Narben eingebracht haben. Sie holte tief Luft und nahm all ihren Mut zusammen. „Was ist dort geschehen?"
    „Sie haben uns mit einer Art Spießrutenlauf empfangen. Alle Indianer, Männer und Frauen, haben sich in zwei langen Reihen aufgestellt. Die Gefangenen mussten zwischen ihnen hindurchlaufen; die Indianer schlugen und traten nach ihnen. Wer stürzt, wird bisweilen zu Tode geprügelt. Doch keiner von uns ist gestürzt."
    „Gott sei Dank", hauchte sie.
    „Dachten wir damals auch. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher."
    Er trank sein Glas aus und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
    „Jasper?" Vielleicht wäre es ja das Beste, nicht weiterzudrängen. Melisande fürchtete sich vor dem, was kommen würde. Er hatte schon so viel

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