Das Geheimnis des Viscounts
durchgemacht, und es war spät, er war müde. „Jasper?"
Doch er schien sie nicht zu hören und starrte leicht verwundert in sein leeres Glas. „Und dann ging der Spaß erst richtig los", fuhr er fort, seine Stimme schon leicht verwaschen. „Sie führten Reynaud fort, und Munroe und Horn banden sie an Marterpfähle. Dann nahmen sie brennende Fackeln und ... und ..."
Er atmete schwer, schloss die Augen und schluckte, brachte die Worte einfach nicht über die Lippen.
„Nein, oh nein", flüsterte Melisande. „Du musst es mir nicht erzählen, du musst es wirklich nicht."
Er sah sie an, verwundert, traurig und leidgeprüft zugleich.
„Sie haben sie gefoltert, mit der Glut der Fackeln — und es waren die Frauen, die sie trugen. Die Frauen! Und dann Munroes Auge. Mein Gott! Es war grauenvoll. Ich schrie sie an, dass sie aufhören sollten, doch sie haben mich nur angespuckt und zur Strafe den Männern die Finger abgehackt. Da wusste ich, dass ich besser den Mund hielte, ganz gleich, was sie taten, denn mein Schreien, jede Gefühlsregung, die ich zeigte, machte es nur noch schlimmer. Und ich habe es versucht, Melisande, ich habe es wirklich versucht, aber ihre Schreie und das Blut ...”
„Oh, mein Liebster, mein Liebster." Sie war zu ihm gegangen, beugte sich zu ihm herab und hielt ihn in ihren Armen, barg sein Gesicht an ihrer Brust. Ihre Tränen konnte sie nicht länger zurückhalten. Sie schluchzte auf und weinte bitterlich um ihn.
„Am zweiten Tag brachten sie uns auf die andere Seite des Lagers", flüsterte Jasper an ihrer Brust. „Dort haben sie Reynaud getötet. Sie haben ihn ans Kreuz gebunden, und er brannte lichterloh. Wahrscheinlich war er vorher schon tot, denn er rührte sich nicht mehr, als die Flammen ihn trafen, und auch dafür habe ich Gott gedankt. Ich habe Gott gedankt, dass mein bester Freund tot war und den Schmerz nicht mehr spüren konnte."
„Schsch", wisperte Melisande. „Schsch."
Aber er kam nicht zur Ruhe. „Als das Feuer erloschen war, brachten sie uns wieder auf die andere Seite des Lagers und es ging weiter. Munroes Gesicht und Horns Brust. Sein ganzer Oberkörper war verbrannt. Immer weiter und weiter und weiter."
„Aber am Ende hat man euch doch gerettet, nicht wahr?", fragte sie fast verzweifelt. Er musste diese schrecklichen Erinnerungen endlich loslassen und sich dem hoffnungsvollen Teil der Geschichte zuwenden. Er hatte überlebt. Er lebte.
„Ja, nach zwei Wochen. Anscheinend hatte Corporal Hartley einen Rettungstrupp organisiert und uns gegen ein Lösegeld freibekommen, aber erinnern kann ich mich nicht daran. Ich war wie betäubt."
„Du warst verzweifelt, verwundet", versuchte Melisande ihn zu beschwichtigen. „Das ist doch verständlich."
Heftig riss er sich von ihr los. „Nein! Nein, es ging mir bestens, ich war nicht verwundet."
Entgeistert starrte sie ihn an. „Aber sagtest du nicht eben, ihr wäret gefoltert …"
Er riss sein Hemd auf und entblößte seine breite Brust. „Du hast mich gesehen, mein süßes Weib. Habe ich auch nur eine Narbe am Leib?"
Ein wenig irritiert senkte sie den Blick auf seine makellose Brust. „Nein ..."
„Weil sie mich nicht angerührt haben. Die anderen hat man gefoltert, aber mich haben sie nicht angerührt."
Mein Gott. Noch immer starrte sie auf seine Brust. Für jemanden wie Jasper musste es schlimmer sein, als Einziger verschont geblieben, als Einziger nicht gezeichnet zu sein.
Sie atmete tief durch und stellte ihm die Frage, auf die er ganz offensichtlich wartete. „Warum?"
„Weil ich der Zeuge sein sollte. Nachdem sie Reynaud umgebracht hatten, war ich nach dem Captain der ranghöchste Offizier. Sie zwangen mich, alles mitanzusehen, und wenn ich nur den Hauch einer Regung zeigte, nur kurz zusammenzuckte, schnitten sie noch tiefer, sengten die Glut noch tiefer ins Fleisch."
Er sah sie an und lächelte gequält; die Dämonen der Vergangenheit standen ihm in den Augen. „Verstehst du? Sie haben meine Kameraden gefoltert, und ich saß dabei und schaute zu."
Kapitel 16
Prinzessin Immerschön aß ihre Suppe, und was sollte sie am Grunde ihres Suppenschälchens finden? Den silbernen Ring! Nun, da brüllte der König abermals den Küchenmeister herbei, und wieder wurde der arme Mann vor versammeltem Hofstaat befragt. Aber er schwor hoch und heilig, dass er nicht wisse, wie der Ring in die Suppe der Prinzessin gekommen war. Schließlich schickte der König ihn wieder zurück in die Küche. Bei Hof begann man die
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