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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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hatte sie bereits zurückgezogen, aber Sally öffnete nun auch die anderen. „Es ist ein herrlicher Tag, Mylady. Sonnig, kein Wölkchen am Himmel und fast windstill. Welches Kleid möchten Sie heute anziehen, Mylady?"
    „Ich dachte, das graue", murmelte Melisande zerstreut.
    Sie zerbrach sich gerade über ein deutsches Wort den Kopf, für das ihr partout keine Übersetzung einfallen wollte. Das alte Märchenbuch hatte ihrer besten Freundin Emeline gehört und war ein Erinnerungsstück aus deren Kindheit. Anscheinend stammte es von Emelines preußischer Kinderfrau. Bevor Emeline mit Mr Hartley, ihrem frisch angetrauten Gatten, nach Amerika gereist war, hatte sie das Buch Melisande gegeben, damit diese die Geschichten übersetzen könne. Ihr das kleine Buch anzuvertrauen, das ihr so viel bedeutete, war Emelines Versprechen, dass ihre Freundschaft die Trennung überdauern werde. Melisande war von dieser Geste sehr gerührt gewesen.
    Sie hatte gehofft, alle Märchen fertig übertragen, in Reinschrift gesetzt und ordentlich gebunden zu haben, um es Emeline bei ihrem nächsten Besuch in England zum Geschenk zu machen. Nur leider war Melisande dabei auf ein Problem gestoßen. Das Buch erzählte vier miteinander verwobene Märchen. Ein jedes handelte von einem Soldaten, der aus dem Krieg zurückkehrt. Drei der Geschichten hatte sie recht mühelos übertragen, doch die Vierte ... Die Vierte erwies sich als eine richtige Herausforderung.
    „Das Graue, Mylady?", wiederholte Sally irritiert.
    „Ja, das Graue", sagte Melisande.
    Das Problem war der Dialekt. Und dass sie aus der Schriftsprache übersetzte. Sie hatte Deutsch von ihrer Mutter gelernt, es jedoch meist gesprochen und nur selten gelesen. Genau dieser Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache war die Krux. Melisande strich über die vergilbte Seite. An dem Buch zu arbeiten, weckte Erinnerungen an Emeline. Sie wünschte, ihre Freundin wäre bei ihrer Hochzeit dabei gewesen. Und noch mehr wünschte sie, sie wäre jetzt hier. Wie tröstlich es wäre, mit Emeline über ihre Ehe zu sprechen und ganz allgemein über das Mysterium Mann. Warum zum Beispiel ihr Gatte ...
    „ Welches graue?"
    „Was?" Melisande gab es schließlich auf und wandte sich ihrer Zofe zu. Die schien mit ihrer Geduld am Ende und hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt.
    „Welches graue?" Sally öffnete die Schranktüren weit und gab den Blick frei auf eine zugegebenermaßen beachtliche Auswahl grauer Kleider.
    „Das Blaugraue."
    Sally nahm das Gewünschte heraus und murrte leise vor sich hin. Melisande überhörte es geflissentlich, stand auf, goss lauwarmes Wasser in die Waschschüssel und erfrischte sich Gesicht und Hals. Dann stand sie geduldig still und ließ sich von ihrer Zofe ankleiden.
    Eine halbe Stunde später entließ Melisande das Mädchen und ging nach unten. Die untere Halle war in hellstem rosa Marmor ausgelegt. Melisande musterte kurz das schwarzgoldene Dekor und zögerte. Das Frühstück würde gewiss in einem der unteren Räume serviert werden, doch in welchem? So viel Türen standen zur Auswahl, und gestern hatte sie inmitten all der Aufregung vergessen zu fragen.
    Nahebei räusperte sich jemand diskret. Melisande drehte sich um und entdeckte Oaks, den Butler, fast neben sich. Er war ein kleiner Mann mit runden Schultern und Händen, die viel zu groß für ihn schienen. Auf dem Kopf trug er eine sehr extravagant gelockte und weiß gepuderte Perücke.
    „Kann ich behilflich sein, Mylady?"
    „Ja, bitte", sagte Melisande. „Könnten Sie einen der Lakaien mit Mouse, meinem Hund, in den Garten schicken? Und zeigen Sie mir doch bitte, in welchem Raum das Frühstück serviert wird."
    „Mylady." Oaks schnippte mit den Fingern, und ein schlaksiger, junger Bursche sprang so prompt hervor wie ein vom Meister herbeigerufener Zauberlehrling. Schweigend deutete der Butler auf Mouse. Der Lakai bückte sich beflissen, erstarrte jedoch, als Mouse knurrte und die Zähne fletschte.
    „Ach, Sir Mouse", seufzte Melisande, bückte sich und hob den kleinen Hund hoch. Noch immer knurrend drückte sie ihn dem Lakaien in die Arme.
    Der junge Bursche versuchte, so viel Abstand wie nur möglich zwischen sich und den Hund zu bringen, streckte die Arme weit von sich und reckte den Kopf nach hinten.
    Melisande stupste Sir Mouse mit dem Finger auf die Nase. „Hör auf damit."
    Mouse hörte auf zu knurren, beäugte den Burschen aber mit sichtlichem Argwohn. Der Lakai hielt ihn mit

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