Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
Vom Netzwerk:
konnte.
    Der junge Lakai stand noch immer im Frühstückszimmer. Er sah aus, als wolle er etwas sagen.
    Jasper warf ihm einen ungehaltenen Blick zu. Er war noch nicht einmal dazu gekommen, seinen Tee zu trinken, ehe der Hund ihm das Frühstück verdorben hatte. „Ja?"
    „Soll ich Ihrer Ladyschaft dann ausrichten, dass Sie weg sind?", fragte der Bursche. Jasper kam sich wie ein ausgemachter Halunke vor. Selbst der Lakai hatte bessere Manieren als er.
    „Ja, tu das." Und ohne einen weiteren Blick marschierte er aus dem Zimmer.
    Eine halbe Stunde später ritt Jasper durch die dicht gedrängten Straßen Londons. Er war unterwegs zu einem Stadthaus in Lincoln Inn Fields. Die Sonne war wieder hinter den Wolken hervorgekommen, und auf den Straßen wimmelte es selbst zu so früher Stunde von Menschen, die sich des schönen Wetters erfreuen wollten. Fliegende Händler hatten ihre Stände an verkaufsträchtigen Ecken aufgebaut und priesen lauthals ihre Waren, vornehme Damen schlenderten Arm in Arm, Kutschen rauschten vorbei wie Schiffe unter vollem Segel.
    Vor sechs Monaten, als Sam Hartley und er begonnen hatten, Überlebende des Massakers von Spinner's Falls zu befragen, hatten sie nicht jeden Veteranen von damals ausfindig machen können. Einige galten als verschollen. Manche waren zwischenzeitlich gestorben, andere waren verkrüppelt und schlugen sich als Bettler und Diebe durch. Sie lebten am Rande der Gesellschaft, stets in Gefahr, ganz herauszufallen und im Nichts zu verschwinden. Was vielleicht das Schlimmste war: nicht zu sterben, sondern aufzuhören zu leben. Die meisten jedoch hatten sie gar nicht mehr ausfindig machen können. Ihre Spuren schienen sich auf immer verloren zu haben.
    Auf der anderen Seite gab es Überlebende wie Sir Alistair Munroe. Munroe hatte das Regiment als Naturforscher begleitet, um im Auftrag Seiner Majestät Tier und Pflanzenreich der Kolonien zu erkunden. Die Wyandot-Indianer hatten bei ihrem Angriff natürlich keinen Unterschied gemacht zwischen Soldaten und Zivilisten. Munroe war mit Jasper zusammen gefangen genommen worden und hatte dasselbe erleiden müssen wie alle anderen, ehe sie schließlich gegen ein Lösegeld freigekommen waren. Allein bei dem Gedanken an damals lief es Jasper eiskalt den Rücken hinunter. Er hielt seine Stute an, um ein paar Sänftenträger vorbeizulassen. Nicht jeder, der in Gefangenschaft geraten und in einem Gewaltmarsch durch die endlosen, moskitoverseuchten Wälder Amerikas getrieben worden war, hatte Folter und Strapazen überlebt. Und wer überlebt hatte, war nicht als der zurückgekehrt, der er einst gewesen war. Manchmal war es Jasper, als hätte er einen Teil seiner Seele in diesen finsteren Wäldern verloren ...
    Er riss sich zusammen und ließ Belle auf den weiten Platz von Lincoln Inn Fields traben. Das Haus, auf das er zuhielt, war ein hoher, eleganter Ziegelbau mit weißem Stuckwerk um Fenster und Türen. Er sprang ab und reichte die Zügel einem Burschen, ging die Treppe hinauf und klopfte. Wenig später führte der Butler ihn ins Studierzimmer.
    „Vale!" Matthew Horn erhob sich hinter seinem großen Schreibtisch und streckte die Hand aus. „Und das nur einen Tag nach Ihrer Hochzeit! Ich hätte nicht gedacht, Sie so bald zu sehen."
    Jasper gab ihm die Hand. Horn hatte die blasse Haut des Rothaarigen und trug eine weiße Perücke. Seine Wangen waren stets leicht gerötet, Kinn und Kieferknochen waren ausgeprägt, fast wuchtig, als wollten sie ein Gegengewicht zu seinem zarten Teint schaffen. Seine Augen waren hellblau, doch von Wärme erfüllt, umkränzt von zahlreichen Lachfalten, obwohl Horn noch nicht einmal dreißig war.
    „Ich bin ein Schuft, meine Frau so bald schon allein zu lassen", gestand Jasper, ließ Horns Hand los und trat zurück. „Aber die Sache duldet keinen Aufschub, fürchte ich."
    „Bitte setzen Sie sich."
    Jasper schlug seine Rockschöße zurück und ließ sich in einem Sessel gegenüber Horns Schreibtisch nieder. „Wie geht es Ihrer Mutter?"
    Horn hob den Blick zur Decke, als könne er durch sie hindurch ins Zimmer seiner Mutter sehen. „Sie kann das Bett nicht mehr verlassen, aber ihr Geist ist ungebrochen. Wenn möglich, leiste ich ihr jeden Nachmittag beim Tee Gesellschaft. Sie interessiert sich brennend für den neuesten Klatsch."
    Jasper lächelte.
    „Bei den Eddings' hatten Sie Spinner's Falls erwähnt", kam Horn zur Sache.
    „Ja. Erinnern Sie sich noch an Sam Hartley? Corporal Hartley? Er war Amerikaner, der

Weitere Kostenlose Bücher