Das Geheimnis des Viscounts
schon", sagte er achselzuckend. „Hat jede Dame dabei so starke Schmerzen oder ist es ..."
„Ist es denn zu fassen?", murmelte sie, entweder zu sich selbst oder zu den Pferden, denn sonst war niemand in Hörweite. „Ich weiß, dass du die letzten Jahre nicht in einer Höhle zugebracht hast. Warum stellst du mir solche Fragen?"
„Weil du jetzt meine Frau bist. Ich könnte mir vorstellen, dass jeder Mann wissen will, was da mit seiner Frau geschieht."
„Das wage ich doch sehr zu bezweifeln", gab sie zurück.
„Ich zumindest will es wissen", beharrte er und lächelte still. Zugegeben, das Sujet ihrer Konversation war vielleicht etwas ... ungewöhnlich, aber er amüsierte sich prächtig.
„Warum?”
„Weil du meine Frau bist", wiederholte er schlicht und wusste auf einmal, dass es so war und nicht anders sein konnte. Wusste in tiefster Seele, dass es die Wahrheit war. „Meine Frau, die ich lieben und ehren, schützen und vor Leid bewahren soll. Wenn etwas dir solchen Schmerz bereitet, möchte ich ... nein, ich muss es wissen."
„Aber du wirst nichts daran ändern können."
Er tat es mit einem Achselzucken ab. „Trotzdem. Verhehle deinen Schmerz nicht vor mir."
„Ich werde Männer nie begreifen", murmelte sie leise.
„Stimmt, wir sind schon eine komische Spezies", meinte er vergnügt. „Es ist wirklich sehr gütig von dir, dich mit mir abzugeben."
Sie verdrehte die Augen und beugte sich vor, wobei sie unbewusst ihre Hand auf seinen Arm legte. „Hier müssen wir abbiegen. Das Haus meiner Tante ist in dieser Straße."
„Dein Wille sei mir Befehl, liebste Gemahlin." Er lenkte die Pferde in besagte kleine Straße und war sich ihrer Hand auf seinem Arm sehr bewusst. Als sie ihre Hand kurz darauf fortzog, wünschte er sie sich sogleich zurück.
„Hier ist es", sagte sie, und er ließ die Pferde vor einem bescheidenen Stadthaus anhalten.
Er band die Zügel fest und sprang vom Wagen. Doch so sehr er sich auch eilte, bis er zu ihrer Seite gelangt war, war sie bereits aufgestanden und machte Anstalten, selbst von dem hohen Sitz herabzuklettern.
Entschlossen fasste er sie um die Taille und sah ihr in die Augen. „Wenn du gestattest."
Es war nicht als Frage gemeint gewesen, dennoch neigte sie in stiller Zustimmung den Kopf. Sie war groß, doch feingliedrig. Ihre Taille konnte er mit beiden Händen fast umspannen. Mit Leichtigkeit hob er sie hoch, wobei ein erregendes Prickeln durch seinen Körper schoss. Wie er sie so hielt, hoch über seinem Kopf, war sie ganz in seiner Macht.
Sie blickte auf ihn hinab und furchte finster die Brauen, wenngleich er spürte, wie sie zitterte. „Könntest du mich jetzt bitte herunterlassen?"
Er grinste. „Natürlich."
Langsam ließ er sie herunter, genoss es noch einen Augenblick, sie so völlig in der Hand zu haben. Er wusste, dass er dieses Gefühl bei ihr nur selten haben würde. Sowie ihre Füße wieder den Boden berührten, trat sie zurück und strich ihre Röcke glatt.
Dann warf sie ihm einen tadelnden Blick zu. „Meine Tante ist ziemlich schwerhörig, und sie mag Männer nicht besonders. Nur, dass du es weißt."
„Ah, gut." Er reichte ihr seinen Arm. „Das dürfte interessant werden."
Sie brummelte Unverständliches, und als sie ihre Hand in seine Armbeuge legte, spürte er wieder dieses erregende Prickeln. Vielleicht hatte er morgens aber auch einfach zu viel Tee getrunken und war ein wenig überreizt.
Sie gingen die Treppe hinauf, und er schlug den lange schon nicht mehr polierten Messingklopfer gegen die Tür. Dann warteten sie.
Nach einer Weile meinte Jasper: „Du sagtest, sie wäre taub, aber sind ihre Bediensteten auch taub?"
Gereizt schürzte sie die Lippen, was auf ihn genau den gegenteiligen Effekt hatte. Am liebsten hätte er sie geküsst. „Sie sind nicht taub, aber auch schon recht betagt und ..."
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein wässriges Auge spähte heraus. „Ja?"
„Lord und Lady Vale für Miss ..." Jasper drehte sich zu Melisande um und flüsterte: „Wie hieß sie noch gleich?"
„Miss Rockwell", sagte sie kopfschüttelnd und wandte sich direkt an den Butler. „Wir würden gern meine Tante besuchen."
„Ah, Miss Fleming", schnaufte der alte Mann. „Kommen Sie rein, kommen Sie ruhig rein."
„Lady Vale", sagte Jasper laut.
„Wie?", fragte der Butler und hielt sich die Hand ans Ohr.
„Lady Vale", brüllte Jasper. „Meine Frau."
„Ja, Sir, gewiss, Sir." Der Mann ließ die Tür offen und schlurfte einen
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