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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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Seidenbrokats. Die schimmernde Seide war über und über mit feiner, roter Stickerei versehen und changierte bei jeder Bewegung von Violett zu Rot, von Rot zu Violett. Melisande trat an ihre Frisierkommode, tupfte sich Parfüm auf den Hals und erbebte leise, als ein kühler Tropfen zwischen ihren Brüsten hinabrann. Der Duft bitterer Orangen erfüllte die Luft.
    Dergestalt gewappnet ging sie zu der Zwischentür und öffnete sie. Dahinter lagen Vales Räume, in die sie sich noch nie vorgewagt hatte. Neugierig sah sie sich um. Als Erstes fiel ihr Blick auf das riesige Bett aus dunklem, fast schwarzem Holz, darauf Linnen von einem tiefen, satten Rot, das nicht minder düster wirkte. Als Zweites bemerkte sie Pynch, den Kammerdiener ihres Gatten, der soeben den Hausmantel seines Herrn auf dem Bett ausgelegt hatte, nun zurücktrat und riesengleich und reglos mitten im Zimmer stand.
    Melisande hatte bislang kaum ein Wort mit dem Kammerdiener gewechselt. Sie hob das Kinn und sah ihn an. „Das wäre alles, Pynch."
    Doch Pynch rührte sich nicht. „Mylord wird mich brauchen, um sich zu entkleiden."
    „Nein", sagte sie ruhig, „das wird er nicht."
    In den Augen des Kammerdieners blitzte etwas auf, das ihr wie Belustigung scheinen wollte. Dann senkte er den Blick und empfahl sich.
    Melisande spürte, dass ihre Schultern vor Erleichterung hinabfielen. Die erste Hürde war genommen. Jasper mochte sie an diesem Morgen überrascht haben, heute Abend würde sie sich revanchieren.
    Sie ließ ihren Blick durchs Zimmer schweifen und stellte fest, dass im Kamin ein helles Feuer loderte und eine Unzahl von Kerzen brannte. Es war fast taghell im Raum. Leicht hob sie die Brauen angesichts dieser Verschwendung, dann schlenderte sie umher und löschte etliche Kerzen, bis nur mehr anheimelndes Dämmerlicht den Raum erfüllte. Der Geruch warmen Wachses und Kerzenrauchs hing in der Luft, doch darunter lag ein anderer, weitaus aufregender Duft. Melisande schloss die Augen und atmete tief ein. Vale. Sandelholz und Zitronenöl, Brandy und Zigarren.
    Kaum hatte sie ihre flatternden Nerven ein wenig beruhigt, als auch schon die Tür aufging. Jasper kam herein und streifte im Gehen bereits seinen Rock ab.
    „Haben Sie nach heißem Wasser geschickt?", fragte er und warf den Rock über einen Stuhl.
    „Ja."
    Er fuhr herum, seine Miene seltsam ausdruckslos, die Augen leicht zusammengekniffen. Wäre sie nicht eine sehr, sehr mutige Frau, dann wäre sie wohl zurückgewichen, so groß und imposant, so reglos stand er da, so finster starrte er sie an.
    Doch dann lächelte er. „Meine Gemahlin. Verzeih, aber dich hatte ich hier nicht erwartet."
    Sie nickte stumm, da sie ihrer Stimme nicht traute. Eine seltsam schaudernde Erregung hatte sie erfasst, und sie wusste, dass sie sehr vorsichtig sein musste, damit ihre Gefühle sich nicht Bahn, brachen und sie preisgab, was er niemals wissen sollte.
    Er ging zum Ankleidezimmer und warf einen Blick hinein. „Ist Pynch nicht hier?"
    „Nein."
    Er nickte, schloss dann die Tür des Ankleideraums.
    Sprat war derweil zur anderen Tür hereingekommen und brachte einen großen dampfenden Wasserkrug. Ihm auf den Fersen folgte ein Dienstmädchen mit einem silbernen Tablett, auf dem sich Brot, Käse und Obst fanden.
    Die beiden Bediensteten setzten ihre Lasten ab, und Sprat wandte sich fragend an Melisande: „Mylady?"
    Sie nickte. „Das wäre alles."
    Die beiden marschierten wieder hinaus, dann herrschte Schweigen.
    Jasper blickte von dem Speisetablett auf und sah sie an. „Woher wusstest du es?"
    Es war ein Leichtes für sie gewesen, den Bediensteten zu entlocken, dass ihr Gatte für gewöhnlich noch eine kleine Mahlzeit
    einnahm, wenn er spät nach Hause kam. Deshalb tat sie seine Frage mit einem Achselzucken ab und schlenderte zu ihm hinüber. „Ich will doch deinen Tagesablauf nicht durcheinanderbringen."
    Er blinzelte. „Das ist sehr ... äh ..."
    Wie es schien, hatte er den Faden verloren — möglicherweise, weil sie begonnen hatte, seine Weste aufzuknöpfen. Sie konzentrierte sich ganz darauf, die flachen Messingknöpfe durch die schmalen Knopflöcher zu bekommen, und merkte, wie seine Nähe ihren Atem dahinfliegen ließ. So nah, wie sie ihm war, konnte sie seine Körperwärme durch sämtliche Stoffschichten hindurch spüren. Ein schrecklicher Gedanke kam ihr: Wie viele Frauen vor ihr hatten wohl schon das Vergnügen gehabt, ihn auszukleiden?
    Sie sah auf, begegnete dem Blick seiner türkisblauen Augen.

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