Das Geheimnis des Viscounts
a?"
Er räusperte sich. „Ähm, ja ... sehr aufmerksam von dir."
„Ja, nicht wahr?" Sie hob die Brauen und widmete sich wieder ganz den Knöpfen. War er heute Abend bei einer anderen Frau gewesen? Er war bekanntlich ein Mann mit starken Bedürfnissen, und sie war derzeit nicht in der Lage, diese zu befriedigen. Genügte das schon, damit er sich anderweitig umtat? Sie mochte gar nicht daran denken. Erst als auch der letzte Knopf geöffnet war, sah sie ihn wieder an. „Bitte."
Er hob die Arme, damit sie ihm die Weste von den Schultern streifen konnte. Sie spürte seinen Blick auf sich, als sie begann, seine Krawatte aufzubinden. Sein Atem streifte ihr Haar, und sie roch Wein. Sie wusste nicht, wo er die Abende verbrachte. Wahrscheinlich trieb er sich in der Stadt herum und tat, was Gentlemen des Abends eben so taten: spielen, trinken, vielleicht auch huren. Unwillkürlich schlossen sich ihre Finger bei diesem Gedanken fester um sein Krawattentuch, und da endlich wurde ihr klar, was sie plagte: Eifersucht. Damit hätte sie nun wahrlich nicht gerechnet. Schließlich hatte sie schon immer gewusst noch ehe sie ihn geheiratet hatte, wer er war — was er war. Sie hatte geglaubt, sich mit dem Wenigen zufriedengeben zu können, was er zu geben ihr bereit war. Andere Frauen sollten sie nicht kümmern. Sie würde sie einfach ignorieren.
Doch wie sich nun zeigte, konnte sie das nicht. Und sie wollte es auch nicht. Sie wollte ihn — ganz und gar.
Nachdem sie sein Krawattentuch beiseitegelegt hatte, begann sie sein Hemd aufzuknöpfen. Seine Wärme drang durch den dünnen Stoff, umfing ihre Finger. Der wunderbar männliche Geruch seiner Haut stieg ihr in die Nase. Melisande atmete ein, schnüffelte verstohlen. Sie roch Sandelholz und Zitronenölseife.
Über ihr brummelte er: „Du brauchst nicht ..."
„Doch."
Als sie auch den letzten Knopf geöffnet hatte, beugte er sich vor, und sie zog ihm das Hemd über den Kopf. Dann richtete er sich wieder auf, und im ersten Moment verschlug es ihr den Atem. Er war ein hochgewachsener Mann — selbst sie reichte ihm gerade einmal bis ans Kinn —, und Brust und Schultern waren entsprechend proportioniert. Breit waren sie, doch sehr schlank. Wenn er sein Hemd trug, konnte man ihn fälschlicherweise für hager halten; nun, da er sein Hemd ausgezogen hatte, kam man nicht mehr in Versuchung, so etwas auch nur zu denken. Lange, schlanke Muskeln spannten sich an Schultern und Armen. Sie wusste, dass er beinah jeden Tag ausritt, und wenn dies das Ergebnis war, konnte sie solch sportiven Eifer nur befürworten. Seine Brust war leicht behaart, sein Bauch straff und glatt. Und die dünne, fein behaarte Linie, die sich von seinem Nabel abwärts zog, war wohl das Sinnlichste, was sie je gesehen hatte. Am liebsten wäre sie mit den Fingern darübergestrichen, wollte der feinen Linie dorthin folgen, wo sie in seinen Breeches verschwand.
Melisande riss sich von dem betörenden Anblick los und sah auf. Er musste sie die ganze Zeit beobachtet haben. Seine Wangen waren schmal und eingefallen, die Falten um seinen Mund so deutlich wie nie. Meist hatte sein Gesicht etwas Komisches, seine Miene etwas Joviales, doch nun fand sich keine Spur seines üblichen Lachens. Um seine Lippen lag ein harter, fast grausamer Zug.
Sie holte tief Luft und deutete auf den Stuhl hinter ihm. „Setz dich. Bitte."
Seine Brauen hoben sich, doch er setzte sich. Fragend sah er von dem Krug heißen Wassers zu ihr. „Willst du dich auch noch als Barbier betätigen?"
Sie tunkte ein Tuch ins warme Wasser. „Vertraust du mir?"
Er beäugte sie so argwöhnisch, dass sie sich das Lachen verkneifen musste. Ohne eine Miene zu verziehen, legte sie ihm das Tuch aufs Gesicht. Von Sprat hatte sie erfahren, dass Jasper gern abends ein Bad nahm und sich zur Nacht rasieren ließ. Ihm bei seinem Bad zur Hand zu gehen, war vielleicht etwas verfrüht, aber rasieren konnte sie ihn. Als ihr Vater zum Ende seines Lebens bettlägerig gewesen war, war sie die Einzige, die er noch mit einem Rasiermesser in seine Nähe ließ. Seltsam eigentlich, da er ihr nie sonderlich viel Zuneigung gezeigt hatte.
Sie trat an die Kommode, auf der Pynch alles bereitgelegt hatte, nahm sich das Rasiermesser und prüfte vorsichtig die Klinge mit dem Daumen. „Du schienst sehr unterhaltsam zu finden, was meine Tante heute Nachmittag über mich erzählt hat."
Das Rasiermesser lässig in der Hand, schlenderte sie zu ihm zurück.
Er nahm sich das feuchte Tuch
Weitere Kostenlose Bücher