Das Geheimnis des Viscounts
heiraten sie bereit gewesen wäre. Der eine war ihr zu alt, der andere zu jung. Manch einer sprach zu laut, und nicht wenige kauten mit offenem Mund. Da die Prinzessin bald ihren einundzwanzigsten Geburtstag beging, verlor ihr Vater, der König, allmählich die Geduld. Und so verkündete er, dass zu Ehren des Festtages der Prinzessin einige Mutproben veranstaltet würden und der Sieger Immerschön zur Frau haben solle ...
aus Lachender Jack
N ach diesem Zwischenspiel war Melisande am nächsten Morgen recht enttäuscht, abermals allein beim Frühstück zu sitzen. Vale hatte das Haus bereits wegen irgendeiner wahrscheinlich unglaublich wichtigen, aber nicht näher ausgeführten Angelegenheit verlassen, und sie hatte sich damit abgefunden, ihren eigenen Betätigungen nachzugehen und ihn erst spät am Abend wiederzusehen.
Und so hatte sie sich mit der Haushälterin und der Köchin besprochen, hatte einen leichten Lunch zu sich genommen und war ein wenig einkaufen gegangen, ehe sie zur Gartenparty ihrer Schwiegermutter aufgebrochen war, wo dann alles ganz anders kam als erwartet.
„Ich wüsste nicht, wann mein Sohn jemals einen meiner Nachmittagssalons besucht hätte", sann die Dowager Viscountess nach. „Es muss Ihr Einfluss sein, der ihn hergelockt hat. Wussten Sie, dass er hier sein würde?"
Melisande schüttelte den Kopf. Ihr Verstand musste den Umstand noch verdauen, dass ihr Gatte sich auf einer nach seinem Ermessen gewiss langweiligen Gartenparty blicken ließ. Das dürfte nicht seine übliche Art sein, den Nachmittag zu verbringen, und der bloße Gedanke raubte ihr den Atem in freudiger Erwartung, wenngleich sie ihr Bestes gab, Ruhe und Fassung zu bewahren.
Sie und ihre Schwiegermutter saßen im großen Stadtgarten der Witwe, der in voller sommerlicher Pracht stand. Die ältere Lady Vale hatte Tische und Stühle auf der Terrasse aufstellen lassen, damit ihre Gäste den herrlichen Tag draußen genießen konnten. In kleinen Gruppen saß man beisammen oder schlenderte umher. Die meisten der Gäste waren jenseits der fünfzig und in Ehren ergraut.
Jasper stand bei drei älteren Herren am anderen Ende der Terrasse. Melisande schaute zu ihm hinüber und sah, wie ihr Gatte den Kopf zurückwarf und laut über etwas lachte, was einer der Gentlemen gesagt hatte. Beim Anblick seines langen, kräftigen Halses zog sich ihr Herz zusammen. Niemals, auch in hundert Jahren nicht, würde sie es müde werden, ihn anzusehen, wenn er so ausgelassen lachte.
Rasch wandte sie den Blick ab, damit niemand sie dabei ertappte, wie sie ihn anschmachtete. „Ihr Garten ist wunderschön, Mylady."
„Danke", sagte ihre Schwiegermutter. „Das sollte er auch sein, bei den Heerscharen von Gärtnern, die ich beschäftige."
Melisande lächelte hinter ihrer Teetasse. Schon vor der Hochzeit hatte sie Jaspers Mutter sehr gemocht. Die Dowager Viscountess war klein und zierlich; neben ihr wirkte ihr Sohn wie ein Riese. Dennoch konnte sie ihn mit einem einzigen vielsagenden Blick an seinen Platz verweisen, wie sie im Übrigen mit jedem Gentleman zu verfahren pflegte. Lady Vale trug ihr schon leicht ergrautes Haar zu einem schlichten Knoten gefasst, der ihr wie eine Krone auf dem Scheitel saß. Ihr Gesicht war ebenmäßig und rund, die Züge weich und denen ihres Sohnes gar nicht ähnlich. Nur ihre Augen glichen genau den seinen, waren von demselben leuchtenden Türkisblau. In ihrer Jugend war sie eine gerühmte Schönheit gewesen, und noch immer strahlte sie jenes Selbstbewusstsein aus, das attraktiven Frauen eigen ist.
Lady Vale begutachtete das weiß und rosa verzierte Gebäck, das zwischen ihnen auf dem Tisch stand. Sie beugte sich ein wenig vor, und Melisande dachte, sie wolle sich eine der Süßigkeiten nehmen, doch dann sah die alte Dame wieder beiseite und ließ ihren Blick über den Garten schweifen.
„Ich war so froh, als Jasper Sie statt Mary Templeton geheiratet hat", sagte Lady Vale. „Das Mädchen ist hübsch, aber überaus sprunghaft. Sie hat nicht das Temperament, meinen Sohn zu handhaben. Binnen eines Monats wäre er ihrer überdrüssig geworden." Die Dowager Viscountess senkte vertraulich die Stimme. „Ich glaube ja, dass er einzig in ihren Busen verliebt war."
Melisande musste sich beherrschen, nicht einen verstohlenen Blick auf ihre eher flache Brust zu werfen.
Beschwichtigend tätschelte Lady Vale die Hand ihrer Schwiegertochter und meinte: „Machen Sie sich mal keine Sorgen. So ein Busen ist vergänglich. Kluge
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