Das Geheimnis des Viscounts
Spion?" Matthews dunkle Brauen schossen in die Höhe. Besonders überzeugt schien er nicht.
„Warum nicht?"
„Weil wir den Bastard gelyncht hätten, wenn das herausgekommen wäre", erwiderte Matthew und sprang dann von seinem Sessel auf, als könne er keinen Augenblick länger still sitzen.
„Umso mehr Grund, alles daran zu setzen, dass es nicht herauskommt", entgegnete Jasper ruhig.
Matthew starrte aus dem Fenster.
„Hören Sie, mir gefällt die Vorstellung ebenso wenig wie Ihnen", sagte Jasper. „Aber wenn wir verraten wurden und Hunderte von uns wegen der Gier eines einzigen Mannes gestorben sind, wenn wir durch diese Wälder marschieren mussten und ..." Den Rest brachte er nicht über die Lippen.
Jasper schloss die Augen, doch im Dunkeln sah er nur noch deutlicher, wie das glühende Holz sich ins Fleisch bohrte, hörte es zischen, roch den Gestank verbrannter Menschenhaut. Schnell öffnete er die Augen wieder. Matthew betrachtete ihn mit unergründlichem Blick.
„Wir müssen — ich muss — ihn finden, damit er seiner gerechten Strafe nicht entgeht. Er soll für seine Sünden zahlen", erklärte Jasper.
„Was ist mit Hasselthorpe? Haben Sie ihn seit den Schüssen schon gesehen?”
„Er weigert sich, mich zu empfangen. Ich habe ihm heute Morgen eine Nachricht zukommen lassen und um einen Termin gebeten. Er hat umgehend geantwortet, dass er sich auf seinen Landsitz zurückziehen und in Ruhe genesen wolle."
„Verdammt."
„Allerdings." Jasper wandte sich ab und begann wieder über der Karte zu brüten.
„Sie müssen mit Alistair Munroe sprechen", sagte Horn hinter ihm.
Jasper drehte sich um. „Glauben Sie, dass er der Verräter ist?"
„Nein." Matthew schüttelte den Kopf. „Aber er war dabei. Vielleicht erinnert er sich an etwas, das wir vergessen oder gar nicht bemerkt haben."
„Ich habe versucht, schriftlich mit ihm in Kontakt zu treten. Aber er schreibt nicht zurück."
Eindringlich sah Matthew ihn an. „Dann werden Sie wohl nach Schottland reisen müssen."
Melisande sollte ihren Gatten erst beim Abendessen zu Gesicht bekommen. Den ganzen Tag hatte sie sich gefragt, ob er ihr aus dem Weg ging, ob etwas passiert sei, aber nichts schien darauf hinzudeuten, als er nun seine Erbsen mit der Gabel aufspießte und launig mit den Dienern scherzte.
„Und, wie war dein Tag?", erkundigte er sich beiläufig. Bisweilen konnte er einem wirklich den letzten Nerv rauben. „Ich war bei deiner Mutter zum Lunch."
„Aha", sagte er nur und bedeutete dem Lakaien, ihm Wein nachzuschenken.
„Es gab gefüllte Artischocken und Schinken."
„Artischocken." Er schüttelte sich. „Ich weiß nie, wie ich die Dinger essen soll."
„Man schabt die Blätter mit den Zähnen aus. Ganz einfach."
„Blätter!", rief er. „Wer isst schon Blätter?" Anscheinend war es eine rhetorische Frage, denn er fuhr sogleich fort: „Würde mir nicht im Traum einfallen. Wahrscheinlich hat eine Frau dieses Zeug entdeckt."
„Die alten Römer haben auch schon Artischocken gegessen."
„Dann eben eine Römerin. Sie hat ihrem armen, togagewandeten Gatten einen Teller mit leckeren Artischockenblättern hingestellt und gesagt: ,Hier mein Schatz, lang kräftig zu.'”
Wider Willen musste Melisande über die Fantastereien ihres Mannes lächeln. „Gut möglich", meinte sie. „Aber die Artischocken bei deiner Mutter waren wirklich sehr lecker."
„Hmm", kam es wenig überzeugt von Jasper. „Vermutlich hat sie dir dazu noch Anekdoten aus meiner unrühmlichen Vergangenheit aufgetischt."
Melisande ließ sich eine Erbse munden. „Da vermutest du ganz richtig."
Er schnitt eine Grimasse. „Und?"
"Du scheinst dich als Säugling ziemlich oft erbrochen zu haben."
"Wenigstens eine schlechte Angewohnheit, die ich abgelegt habe", murmelte er.
„Und als du sechzehn warst, hast du mit einem Milchmädchen angebandelt."
„Stimmt, das hatte ich ganz vergessen", rief Jasper aufgeräumt. „Reizendes Mädchen. Agnes, wenn ich mich recht entsinne. Oder Alice? Vielleicht auch Arabella ..."
„Nun, Arabella wohl kaum", murmelte Melisande.
Er indes geriet ins Schwärmen. „Eine Haut wie Milch und Honig und so herrlich große ..."
„Füße?", erkundigte Melisande sich liebenswürdig.
„Unglaublich, wirklich. Ihre Füße." Seine Augen funkelten schelmisch.
„Pfff", schnaubte Melisande, doch sie musste sich ein Lächeln verkneifen. „Und, wie war dein Tag?"
„Ach, na ja." Jasper schob sich ein Stück Fleisch in den Mund und
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