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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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stand doch bloß noch der Hundeverschlag.« Mit einem Stich im Magen dachte Arjen an Pirat, der noch zwei Jahre bei ihnen gelebt hatte. Es war ein bittersüßer Schmerz, denn sie hatten einander ins Herz geschlossen gehabt. Der Schäferhundmischling war mit grauer Schnauze vorm Ofen eingeschlafen. Davon würde er Ruben bei Gelegenheit erzählen müssen und auch von Peer Hinrichs’ Verschwinden …
    Ruben fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das ihm der Wind in die Stirn trieb. Ein Schwarm korngroßer, hellrot aufleuchtender Narben war dort zu sehen, die sich bis auf die Wange fortsetzten, als hätte ihn ein Funkenregen erwischt. Offenbar hatte auch Ruben seinen Teil des Krieges zu sehen bekommen. »Nein, bei Peer bin ich noch nicht gewesen, ich wollte gleich von Anfang an etwas Eigenes. Na, komm. Errätst du etwa nicht, wohin es mich gezogen hat?«
    Die Hütte in den Dünen am Nordstrand sah mehr denn je wie eine Ruine aus: Die Fenster zum verwilderten Vorhof waren schwarze Löcher, und dort, wo sich einst die Haustür befunden hatte, war das Gemäuer sogar eingestürzt. Unsicher, wie er auf diese Behausung reagieren sollte, stand Arjen neben Ruben, der die Schnürbänder seiner Stiefel zusammengebunden und über die Schulter gehängt hatte. Mit den hochgekrempelten Hosenbeinen und dem offenen Hemd war er dem Ruben von früher ein ganzes Stück ähnlicher geworden, wozu sicherlich auch ihr Spaziergang an der Wassernaht beigetragen hatte, auf dem Ruben leichtfüßig von einem Thema zum nächsten gesprungen war, während Arjen japsend versucht hatte, mit ihm Schritt zu halten.
    »Das ist also dein Unterschlupf?«, vergewisserte sich Arjen noch einmal.
    Ruben schlug sich theatralisch vor die Brust. »Jawohl, dieser Haufen mürbe Steine ist mein Lager, meine Bastion, mein Hafen im Sturm. Gib es zu, am liebsten würdest du gleich mit einziehen in dieses Kleinod Beekensieler Baukunst. Ich gestehe, dass es gilt, die eine oder andere Kleinigkeit vielleicht noch auszubessern, aber man darf nicht kleinlich sein. Schon gar nicht in Zeiten, in denen das halbe Land in Schutt und Asche liegt. Ich habe Zufluchten in den zerbombten Gebieten gesehen, gegen die sieht meine Kate wie ein Palast aus.«
    »Was bleibt denn noch, wenn man den Haufen mürber Steine wegnimmt?«
    Diese Frage war durchaus ernst gemeint, denn es überstieg schlicht Arjens Fantasie. Vom Krieg zerfressene Landschaften hatte er während seiner wenigen Monate als Flakhelfer der Marine kaum zu sehen bekommen, die zerstörten Städte kannte er nur aus Zeitungen. Hier auf Beekensiel waren sie mit einem blauen Auge davongekommen: Da die Insel zu klein war, die Verbindung zum Festland von Gezeiten und Wetter abhing und ihr Hafen, trotz kostspieligem Ausbau, zu wenig Platz bot, hatte man lediglich einige Geschützstellungen aufgebaut gehabt. In diesen Tagen war Thaisens Beistand und Rat gefragter als je zuvor, auch wenn die Leute ihm seine ewige Rede davon, dass er dieses schlimme Ende von Anfang an habe kommen sehen, übelnahmen. Was Thaisen jedoch nicht davon abhielt, es ihnen bei jeder Gelegenheit erneut unter die Nase zu reiben. Vermutlich würde seine Beliebtheit schon bald schwinden, aber das würde dann auch nur bestätigen, was Arjens Vater sowieso von den Menschen hielt: Wer nicht fest in seiner Kirche verankert war, war nicht mehr als ein Fähnlein im Wind. Politische Gesinnungen kamen und gingen, nur der Glaube blieb unangetastet vom weltlichen Lauf der Dinge.
    »Würde ich dich nicht besser kennen, mein lieber Arjen, würde ich annehmen, du wärst geschockt über die Wahl meiner Behausung, so erstarrt wie du dastehst. Oder kippst du mir gleich um, weil dir vor Begeisterung der Atem stockt?«
    Tatsächlich fühlte Arjen sich bereits ganz leicht im Kopf, als habe er ein Gebirge und nicht bloß eine Düne erklommen. »Ich habe mir im Krieg eine schwere Lungenentzün dung eingefangen, und seitdem bekomme ich die Brust nicht richtig frei, da liegt unentwegt ein gemeiner Druck drauf, ich kann mich kaum bewegen und bin ständig müde. Ich bin nicht einmal mehr an die Front geschickt worden, weil ich denen zu klapperig war, dabei haben die doch Mann und Maus in die Schlacht geworfen. Sogar mein Vater war als Seelsorger an der Front, wobei er wohl in erster Linie Sterbebegleitung geleistet hat, wenn ich mir seine Ge schichten so anhöre.«
    Mit erhobenen Brauen musterte Ruben ihn. »Den Nordstrand hast du eben aber ohne einmal zu keuchen genommen.«
    Zu seiner

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