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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Nächte während seiner Krankheit kaum einen Unterschied zu machen schienen. »Und nicht nur das – ich habe auch mein Versprechen gehalten und das Geheimnis für dich bewahrt.« Mit zittrigen Fingern griff Arjen in den Ausschnitt seines Hemdes und holte den Walfischknochen hervor, der ihn seit jenem Sommer tagein, tagaus begleitet hatte. »Ich habe ihn für dich aufbewahrt.«
    Unwillkürlich biss Ruben sich beim Anblick des Talismans auf die Unterlippe. »Ich bin zurückgekehrt, um dort weiterzumachen, wo ich aufgehört habe: mit einem eigenständigen Leben auf dieser Insel. Und dieses Mal wird mich niemand davon abhalten können.« Zögernd streckte er die Hand aus und berührte das elfenbeinartige Material, streichelte über die glatte Fläche und liebkoste flüchtig eine Schnitzerei. Als Arjen das Lederband jedoch über seinen Kopf ziehen wollte, deutete Ruben ihm, es bleiben zu lassen. »Du hast den Walfischknochen so gut behütet, du solltest ihn vorläufig bei dir behalten.«
    »Aber was ist mit dir?« Arjen konnte die Bestürzung in seiner Stimme nicht verbergen. Wie konnte Ruben etwas so Wichtiges einfach ihm überlassen? Der Walfischknochen hatte seinem verschleppten Vater gehört, er war ein mystisches Relikt, das sie hatten entschlüsseln wollen, und Ruben war deswegen ergriffen und fortgebracht worden. »Der Walfischknochen gehört doch zu dir, er ist dein Erbe.«
    »Nein, er gehört mir nicht. Er hat nie irgendjemandem gehört, er ist ein Symbol, das das Schicksal verkörpert. Man kann sich des Walfischknochens annehmen, seine Magie beschwören und ihn vor den falschen Händen bewahren, aber man kann ihn sich niemals zu eigen machen. Du bist ein guter Hüter gewesen, sehr viel besser als ich. Außerdem habe ich den Verdacht, dass du ihn dringender nötig hast als ich, denn ich ahne bereits, was das Schicksal für mich bereithält.«
    »Du erahnst dein Schicksal?« Die Worte fühlten sich in Arjens Mund wie ein erster Schluck Wein an: dunkel, brennend und doch mit einem Vorgeschmack auf kommende Freuden.
    Ruben nickte, die Gesichtszüge angespannt. »Dieser Sommer wird alles entscheiden, davon bin ich überzeugt.«

22
    Am Montagmorgen füllte sich der Beekensieler Markt platz mit Ständen, an denen Gemüse und Obst, Wurstwaren, Blumen, aber auch Wein und selbstgebackene Torten verkauft wurden. Ein beliebter Treff war dieser Wochenmarkt obendrein, wie der spartanisch hergerichtete Kaffeestand bewies, um den sich die halbe Insel tummelte und in die dampfenden Becher blies.
    Greta ließ sich treiben, betrachtete die verschiedenen Waren und vor allem die Leute, die jede Gelegenheit auf einen Plausch zu nutzen schienen. Dafür dass die Zahl der Insulaner von Jahr zu Jahr schrumpfte, fühlten sich die Übriggebliebenen offenbar wohl. Die mürrische Art, mit der sich die Beekensieler früher abgegrenzt hatten, schien der Vergangenheit anzugehören, soweit Greta das beurteilen konnte. Es war wirklich eine Schande, dass niemand dort draußen in der Welt eine Ahnung davon hatte, wie wunderschön diese kleine Halbinsel war. Von weitem sah Greta das Ennenhof-Schild über einem Stand und schlug schnell die Gegenrichtung ein, denn allein der Gedanke an Mattes verstärkte ihre Traurigkeit. Zu gern hätte sie ihm von Arjens Geständnis erzählt und sich trösten lassen. Aber er war nun einmal nicht da, und sie war auf der Suche nach etwas, das ihre Aufmerksamkeit fesselte, damit ihre Gedanken nicht dorthin wanderten, wo sie sich ohnehin schon die halbe Nacht aufgehalten hatten. Selbst bis in ihre Träume hatte sie ein unendlich müder und ausgemergelter Arjen verfolgt. Sie hatte auf ihn eingeschrien, ihn bei den knochigen Schultern gepackt und geschüttelt, aber er war einfach eingeschlafen, als sei sie gar nicht da. Und tatsächlich hatte sie im Traum nicht einen ihrer eigenen Schreie gehört.
    Greta brauchte eine Auszeit, und der Beekensieler Wochenmarkt bot die perfekte Ablenkung. Handgestrickte Pulswärmer wanderten durch ihre Hände, sie bewunderte Trockenblumensträuße und sogar das Fell einer Heidschnucke, bis sie auf ein vertrautes Aroma stieß, das sich von den anderen Gerüchen deutlich abhob. Es duftete nach … Zitronen. Wie ein ganzes sizilianisches Zitronenfeld , hörte sie Arjen in der Erinnerung sagen. Greta musste sich an einer schwer beladenen Frau vorbeizwängen und dabei Acht geben, nicht auf deren geifernden Spitz zu treten. Diese Sorte Kläffer führte ihr vor Augen, warum sie bislang nicht die

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