Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
wenn ich dich reintrage?« Seine Hand lag bereits unter ihrem Ellbogen.
»Können wir nicht einfach noch ein wenig sitzen bleiben, im Wagen ist es so schön gemütlich.«
»Das hast du auch vom Sofa mit den kratzigen Wolldecken behauptet, als das Feuer im Ofen schon längst niedergebrannt war. Vertrau mir: Im Sturmwind ist es tausendmal gemütlicher, vor allem wenn du erst in der Badewanne liegst.«
»Badewanne?« Das Leben kehrte schlagartig in Gretas müde Glieder zurück.
Mattes grinste wissend. »Die auf deinem Zimmer ist ziemlich fantastisch, nicht wahr?«
»Fantastisch ist ein viel zu schwacher Ausdruck. Sie ist die reinste Wellness-Oase, bildschön … Und groß ist sie auch noch.«
»Daran habe ich ebenfalls gedacht.«
Zum ersten Mal in ihrem Leben ließ sich Greta beim Aussteigen helfen und hielt ihre glühenden Wangen dem Wind hin, der zwar beißend kalt war, ansonsten jedoch eher mild ausfiel. Seit sie auf Beekensiel angekommen war, jagte ein Sturm den nächsten, doch heute Abend herrschte endlich eine Atempause. Dabei hatte Adele ein Unwetter vorhergesagt …
Als sie die friesengrüne Eingangstür des Sturmwind erreichten, glühte Gretas Gesicht noch immer, außerdem musste sie plötzlich an ihren zerwühlten Haarschopf denken. Jemandem wie Trude würde es ein Leichtes sein, daraus Rückschlüsse zu ziehen … Im Zweifelsfall würde sie von einem ausgiebigen Spaziergang am Wasser schwärmen, auch wenn das bei dieser Finsternis ziemlich absurd klang.
»Lass uns zusehen, dass wir den Empfangsraum möglichst rasch durchqueren und die Treppe hochkommen«, schlug Greta vor.
Mattes versuchte, durchs Milchglas der Tür zu linsen. »Wir könnten auch durch den Lieferanteneingang rein, allerdings wären unsere Chancen dadurch nicht unbedingt besser, unbemerkt an Trude vorbeizukommen. Die Frau hat ihre Augen überall.«
»Hast du vielleicht auch eine schöne große Badewanne in deiner Wohnung?«
Bedauernd schüttelte Mattes den Kopf.
»In dem Fall würde ich vorschlagen, dass wir schnurstracks reingehen und uns Tanten und allen anderen Ungeheuern stellen. Wir wissen ja, wofür wir es tun.«
In Begleitung von Mattes’ Lachen betrat Greta das Sturmwind, und nicht einmal als Trude sofort auf sie zuhielt, verging ihr die gute Laune. Dabei sah Trude ungewöhnlich angespannt aus. Sie tätschelte noch schnell Fado den Kopf, der gleich in Richtung Küche abdrehte, wo er ein eigenes Körbchen vorm Heizkörper stehen hatte.
»Moin, moin. Da sind Sie ja, meine Liebe! Sie wollen sich doch wohl nicht einfach davonschleichen? Wir haben auf Sie gewartet. Ich hatte schon Sorge, dass Ihnen in dieser morschen Kate vielleicht ein Dachbalken auf den Kopf gefallen ist. Da bin ich ja erleichtert, dass Sie sich bloß die Zeit mit unserem Mattes vertrieben haben.« So anzüglich dieser Kommentar wirkte, er war eindeutig nicht so ge meint. Trude war sichtlich aufgeregt und zerknüttelte ihren Bestellzettel zwischen den Händen.
Auch Mattes entging die Unruhe seiner Tante nicht. »Ist alles in Ordnung?«, fragte er.
»Im Prinzip schon.« Trotzdem machte Trude ein Gesicht, als habe sie in eine Zitrone gebissen. Ihr Blick blieb an dem Arm hängen, den Mattes um Gretas Taille gelegt hatte. »Unsere Greta hier hat bloß Besuch. Ich meine: noch mehr Besuch als ohnehin schon …« Sie deutete auf die überraschend gut besetzten Tische im Leileckerland. »Ihr Lebensgefährte ist offenbar extra aus der Schweiz angereist, um Sie zu sehen.«
»Ex-Lebensgefährte«, korrigierte Greta, während sie voller Unglauben ins Restaurant schaute.
Dort am Tisch saß tatsächlich Erik gemeinsam mit den beiden rosenboomschen Damen. Während Anette ihr sichtlich verlegen zuwinkte, wirkte Beeke so aufgeregt, als könne sie es kaum erwarten, dass endlich das ganz große Drama beginnen würde. Thomas Roder hielt sich an einem Glas Rotwein fest, vermutlich war es ihm im Gegensatz zu Arjen nicht gelungen, sich rechtzeitig von dieser Gesellschaft abzusetzen. Als habe der arme Mann in den letzten Tagen nicht schon genug Familienszenen miterleben dürfen …
Während Greta sich einen Reim darauf zu machen versuchte, was um Himmels willen Erik, den sie schon fast vergessen hatte, auf Beekensiel wollte, stand er auf und lächelte sie entschuldigend an. Unter seinen ansonsten stets leuchtenden Augen lagen Schatten, und an seinem Kinn prangte ein Dreitagebart, den er normalerweise früh genug abrasierte, dass man die grauen Haare darin nicht sah. Auf den
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