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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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zu essen da.« Obwohl Arjens Magen um diese Tageszeit in Wahrheit wie verschlossen war, würde er ordentlich zuschlagen müssen, damit sein Freund dasselbe tat. Denn dass Ruben ausgehungert war, war die einzige Erklärung dafür, dass er in aller Herrgottsfrühe auftauchte. Wäre es wegen einer Idee gewesen, was sie heute unternehmen könnten, wäre sie schon längst aus ihm herausgesprudelt. Außerdem mied er das Reetdachhaus nach Möglichkeit. Selbst Dörchen, die allzu gern mal einen Blick auf Arjens Spielkameraden geworfen hätte, war bislang enttäuscht worden.
    »Gib es zu: Den Burschen hast du dir ausgedacht, den gibt es in Wirklichkeit überhaupt nicht. So schnell kann doch keiner verschwinden und schon gar nicht vom großen Kirschbaum im Garten, wenn er bis oben in die Zweige geklettert ist, um die schönsten Kirschen zu pflücken.«
    »Und wo kommen dann bitte schön diese Krawanzmänner in der Pflückschale her?«, hatte Arjen dagegengehalten. Zu gern hätte er Ruben der Haushälterin präsentiert, anstatt ihr nur Geschichten von diesem außergewöhnlichen Jungen zu erzählen, der sein Freund geworden war. Es fiel ihm schwer, ihren amüsierten Blick auszuhalten, weil Dörchen glaubte, das seien alles nur die Märchen eines einsamen Kindes. Aber Ruben hatte nun einmal einen sechsten Sinn dafür, wann sich Erwachsene näherten und machte sich stets rechtzeitig aus dem Staub. So wie auch in diesem Fall: Eben noch machte er Jagd auf die reifen Kirschen, und im nächsten Moment war er verschwunden. »Ich würde nicht einmal dann in die Baumspitze klettern, wenn mein Leben davon abhinge, das weißt du ganz genau. Es war Ruben, der hat vor nichts Angst und tut, was er will.«
    Dörchen hatte eine ihrer goldblonden Strähnen aus der Stirn gepustet und die Arme unter ihrem beachtlichen Busen verschränkt, dessen Anblick Arjen in der letzten Zeit immer häufiger in seinen Bann zog. Einen Moment lang hoffte er, sie würde wegen ihrer Unterstellung ein schlechtes Gewissen bekommen und ihn umarmen, ganz fest, und nah an ihr Herz drücken. Allein die Vorstellung ließ eine Hitze in ihm aufsteigen, die ihm vollkommen unbekannt war. Er trat rasch zwei Schritte zurück, um auf Abstand zu gehen, ahnungslos, was ihn bloß so durcheinanderbrachte. Auch wenn er Dörchen nur am Vormittag traf, so war sie ihm eine Art Mutter, die einzige Frau, die ihm zugetan war und sich um sein Wohlergehen sorgte. Solche Empfindungen ihr gegenüber erschienen ihm unangebracht, obwohl die weichen Rundungen ihres Körpers eine Faszination ausübten, der er sich nur schwer entziehen konnte.
    Mit krauser Stirn stand Ruben vor dem Vorratsschrank. »Gehören kalte Reibekuchen auf den Frühstückstisch?«
    Allein bei dem Gedanken an die fettigen, nach gebratener Zwiebel riechenden Küchlein zu dieser frühen Stunde wurde Arjen schlecht. Andererseits musste Ruben ernsthaft der Magen zwischen den Knien hängen, so wie er sich beim Anblick des vollen Tisches über die Lippen leckte. »Reibekuchen gehören unbedingt dazu. Es gehört alles auf den Tisch, was wir haben! Dann können wir auch gleich den Rucksack mit Proviant füllen. Wir wollen heute doch zusammen etwas unternehmen?« Zu Arjens Unglück konnte man sich nie sicher sein, wie viel Zeit Ruben zur Verfügung haben würde. Es konnte durchaus vorkommen, dass er zu einer Verabredung nicht auftauchte oder viel zu früh fortmusste. »Geheime Aufträge, über die ich nicht mit dir reden kann. Je weniger du über meine Mission weißt, umso besser für dich«, wand er sich mit einem Augenzwinkern heraus, wenn Arjen wieder einmal einen Nachmittag mit sehnsüchtigem Warten verbracht hatte. »Wir werden doch den Tag miteinander verbringen, oder?«
    Ruben nickte abwesend, und Arjen begriff, dass aus seinem Freund erst nach dem Essen eine Reaktion herauszulocken sein würde. Mit Schwung stellte er die gusseiserne Pfanne auf den Herd und beschloss, zum ersten Mal in seinem Leben Spiegeleier zu braten. So schwer konnte das doch nicht sein, oder?
    Beim Gehen ließ Ruben den Arm, mit dem er den Eimer hielt, kräftig vor- und zurückschlenkern. Im Gegensatz zu Arjen war er bester Laune und erzählte eine seiner angeblich wahren Räuberpistolen, während sie durch die Wiesen liefen, stets abseits der fest angelegten Wege. Ruben erriet immer rechtzeitig, wenn jemand hinter einem Hügel auftauchte oder ein Liebespaar in den Dünen lag. »Wer will den Tag schon mit Grüßen verschwenden?«, erklärte er leichthin,

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