Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Selbstverständlichkeit eines Pastorensohns.
Ruben grinste. »Klasse, dann reib das deinem alten Herrn das nächste Mal unter die Nase, wenn er auf Hunde schimpft. Franz von Sonstwas wird doch selbst ein Thaisen Rosenboom nicht widersprechen wollen, oder?«
Arjen war sich in dieser Hinsicht nicht wirklich sicher, aber er war viel zu sehr von Pirat in Anspruch genom men. Mit jedem weiteren Bissen, den der Rüde verschlang, ohne nach seiner Hand zu schnappen, entspannte Arjen sich mehr. Allem Anschein nach hatte Ruben nicht übertrieben, was die Harmlosigkeit des Tieres anging, auch wenn Pirat durchaus den Eindruck machte, als bräuchte er zum Kehledurchbeißen des Feindes weder seine Augen noch seinen Hinterlauf. »Wenn du Pirat so gern hast, warum sperrst du ihn dann in diesem Verschlag ein?«
Die Antwort machte Ruben sichtlich zu schaffen, so wie er die Arme um seinen schmalen Körper schlang und trotzig das Kinn vorschob. »Weil Pirat nicht mein Hund ist, genau wie mir diese Hütte nicht gehört. Ich bin nur Gast.«
»Und wem gehört die Hütte?«
»Vermutlich würde dir der Name eh nichts sagen …«, druckste Ruben herum.
»Und vielleicht doch. Falls du es nicht weißt: Ich bin auf dieser Insel geboren worden.« In diesem Moment wünschte Arjen sich nichts sehnlicher, als dass Ruben es ihm verriet und damit bewies, dass das Band zwischen ihnen stärker wurde.
»Ach, was soll’s. Das ist Peer Hinrichs’ Unterschlupf, wenn er nicht auf seinem Boot schläft.«
»Den kenne ich«, sagte Arjen, stolz darauf, nicht ganz so ahnungslos zu sein, wie er sich in Rubens Gegenwart fühlte. »So ein krumm gewachsener Kerl mit Bart. Einer von den unabhängigen Fischern, ein Einzelgänger und Gottesleugner. Das weiß ich von meinem Vater, der Hinrichs besucht nämlich nicht einmal am Heiligen Abend die Kirche.« Arjen beschlich ohnehin zunehmend der Verdacht, dass niemand besonders gern Thaisen Rosenbooms Kirche besuchte. Vermutlich war das seinem Vater sogar recht, dann musste er sich nicht mit Leuten abgeben, die er missbilligte – und daran herrschte auf Beekensiel kein Mangel, wenn man Thaisens Reden so lauschte. »Ist Peer dein Onkel?«
Ruben zuckte mit den Achseln. »Eine Art Gastonkel, könnte man sagen.« Dann teilten sich plötzlich seine Lippen zu einem breiten Lächeln, bei dem sein angeschlagener Schneidezahn sichtbar wurde. »Für die doppelte Ration Schnaps wäre er bestimmt sogar bereit, meinen Gastvater zu geben.«
»Du bezahlst ihn dafür, dass du in dieser Bruchbude leben darfst und er sich als dein Onkel ausgibt? Ich bin ja noch nicht drin gewesen, aber ich würde allein vom Äußeren darauf tippen, dass diese Unterkunft keine Flasche Schnaps wert ist.«
»Nun, es ist ein Dach überm Kopf, was man von der Fischerkate in den Dünen nicht gerade sagen kann, auch wenn ich sie bis zum Herbst so weit bringen möchte. Und Trinkwasser gibt es hier auch, ein Stück weiter weg hat Peer sogar einen Brunnen ausgehoben, um die Süßwasserlinse unter der Insel anzuzapfen.«
Brunnen hin oder her, Arjen war nicht im Geringsten überzeugt. Er kannte Peer Hinrichs nicht persönlich, sondern hatte ihn nur einige Male am Hafen gesehen, eine schnell ausschreitende Gestalt, den Kopf zwischen die ungleichen Schultern gezogen, den Blick aufs Pflaster gerichtet, damit er niemandem ins Gesicht schauen musste. Angeblich hatte er sich mit dem alten Ennenhof angelegt, weil er dessen übliche Preise für den Fang nicht akzeptieren wollte. Vielleicht ging es auch um die Anlegestelle für sein Boot … Wie auch immer, niemand, der bei klarem Verstand war, legte sich mit Rasmus Ennenhof und seiner Sippschaft an – das wusste sogar Arjen. »Wenn du nicht weißt, wo du schlafen sollst, dann komm eben zu mir.«
Ruben lachte lauthals. »Ich habe so meine Zweifel daran, dass dein Vater etwas Freundlicheres über mich als über die Hunde sagen würde. Der würde doch nicht einmal zulassen, dass du einem von meinem Schlag auf der Straße guten Tag sagst.«
»Mein Vater ist Pastor, er ist zur Nächstenliebe verpflichtet.«
»Ja, in die Gunst der Nächstenliebe würde er mich garantiert kommen lassen, indem er mich ins nächste Kinderheim steckt. Glaub mir, ich kenne diese Sorte Menschen. Dann schlüpfe ich doch lieber beim eigenbrötlerischen Peer unter und stopfe ihm die Netze.«
»Gibt er dir auch zu essen?«
Zum ersten Mal wich Ruben seinem Blick aus. »Wenn er genug vom Hafen mitbringt und eine Aufgabe für mich hat, damit
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