Das Geheimnis des weißen Bandes
gehört.«
»In der Tat, Mrs. Carstairs. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er den Safe schon geöffnet. Ich gehe übrigens davon aus, dass Sie und Mr. Carstairs getrennte Schlafzimmer haben?«
Carstairs wurde rot. »Ich kann nicht erkennen, was unsere häuslichen Arrangements mit dem Fall zu tun haben sollen.«
»Aber Sie streiten es auch nicht ab. Na gut, bleiben wir noch ein bisschen bei unserem verwirrten und unschlüssigen Einbrecher. Er flüchtet sich in ein kleines privates Hotel in Bermondsey. Und jetzt kommt es zu einer Überraschung: Ein unbekannter Angreifer geht auf Keelan O’Donaghue los – immer vorausgesetzt, dass er es tatsächlich ist –, schlitzt ihm den Hals auf und nimmt nicht nur das Geld, sondern auch alles mit, wodurch man ihn identifizieren könnte, mit Ausnahme eines Zigarettenetuis, welches insofern wenig hilfreich ist, als es die Initialen WM trägt.«
»Was wollen Sie mit alledem sagen, Mr. Holmes?«, fragte Catherine Carstairs.
»Ich versuche Ihnen nur noch einmal vor Augen zu halten, Mrs. Carstairs, was mir von Anfang an klar war: dass diese Geschichte keinen Sinn ergibt, solange man davon ausgeht, dass der Mann Keelan O’Donaghue war. Unterstellt man aber, dass es sich um jemand anderen gehandelt hat, jemanden, der gar nicht mit Ihrem Mann reden wollte, sondern mit jemand anderem, dann sieht es schon anders aus.«
»Das ist doch lächerlich. Er hat doch meinem Mann diesen Zettel gegeben.«
»Erschien dann aber nicht in der Kirche. Es hilft vielleicht, wenn wir uns mal in die Lage des geheimnisvollen Besuchers versetzen. Er möchte gern eine vertrauliche Unterredung mit einem Mitglied des Haushalts führen, aber das ist gar nicht so einfach. Abgesehen von Ihnen selbst gibt es da noch Ihren Mann, Ihre Schwägerin, verschiedene Diener … Mr. und Mrs. Kirby, Elsie und Patrick, den Küchenjungen. Am Anfang beobachtet er das Haus nur aus der Entfernung, aber dann nähert er sich. Mit einer Botschaft, die er in großen Blockbuchstaben auf einen Zettel geschrieben, aber weder gefaltet noch in einen Umschlag gesteckt hat. Ganz offensichtlich hat er nicht die Absicht, sie in den Briefschlitz zu stecken oder dem Diener zu geben. Aber vielleicht hat er ja die Hoffnung, die Person, für die seine Nachricht bestimmt ist, im Haus zu sehen. Dann könnte er seinen Zettel hochhalten, damit die betreffende Person sie durch das Fenster des Wohnzimmers lesen kann. Er muss nicht an der Tür klingeln, und er riskiert auch nicht, dass die Botschaft in die falschen Hände gerät. Nur die zwei Personen, die es angeht, erfahren davon, und das, worum es geht, können sie später in aller Ruhe besprechen. Dummerweise nur kehrt Mr. Carstairs unerwartet früh nach Hause zurück, wenige Sekunden bevorunser Mann sein Ziel tatsächlich erreicht hat. Also was macht er? Er hebt den Zettel hoch – und gibt ihn dann Mr. Carstairs. Er weiß, dass er vom Haus aus beobachtet wird, und seine Botschaft hat sich ein bisschen geändert. Jetzt lautet sie: Sieh zu, dass du dich mit mir triffst, sonst erzähle ich Mr. Carstairs alles. Ich treffe mich mit ihm in der Kirche, aber ich kann mich auch überall sonst mit ihm treffen. Du kannst mich nicht daran hindern. Natürlich kommt er nicht zum vereinbarten Treffpunkt. Das ist gar nicht nötig, die Warnung genügt.«
»Aber mit wem wollte er denn sprechen, wenn nicht mit mir?«, sagte Carstairs.
»Wer war denn zu diesem Zeitpunkt im Wohnzimmer?«
»Meine Frau.« Er runzelte die Stirn, dann wechselte er hektisch das Thema. »Wer war denn dieser Mann, wenn er nicht Keelan O’Donaghue war?«, fragte er.
»Die Antwort ist ziemlich einfach, Mr. Carstairs. Es war Bill McParland, der Pinkerton-Detektiv. Überlegen Sie mal. Wir wissen, dass Mr. McParland bei der Schießerei in Boston verwundet wurde, und der Mann, dessen Leiche wir in Mrs. Oldmore’s Private Hotel gefunden haben, hatte eine frische Narbe auf seiner rechten Wange. Wir wissen auch, dass sich McParland mit seinem Auftraggeber, Cornelius Stillman, zerstritten hatte, weil der sich geweigert hatte, ihm seinen vollen Lohn zu zahlen. Er hatte also einen guten Grund, wütend zu sein. Und dann ist da noch der Name. Bill ist die Kurzform für William, würde ich sagen, und die Initialen auf seinem Zigarettenetui lauteten –«
»WM«, rief ich dazwischen.
»Genau, Watson. Und jetzt passte plötzlich alles zusammen. Fangen wir mal mit dem Schicksal von Keelan O’Donaghue selbst an. Was wissen wir über den jungen Mann?
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