Das Geheimnis des weißen Bandes
entscheidenden Fehler. Das Geld, das Sie ihm gegeben haben, fünfzig Pfund, war nur eine erste Rate. Er hatte mehr verlangt, und törichterweise nannte er Ihnen den Namen seines Hotels. Wahrscheinlich hat ihn Ihre Erscheinung getäuscht. Als er Sie in der vornehmen Kleidung einer wohlhabenden englischen Lady gesehen hat, muss er wohl vergessen haben, was für ein hartes Geschöpf Siegewesen waren, als Sie noch in Amerika lebten. Ihr Gatte war an diesem Tag etwas länger in der Galerie in der Albemarle Street. Sie wählten die geeignete Stunde, verließen das Haus und kletterten durch ein Hinterfenster in Mrs. Oldmore’s Private Hotel. Als McParland abends in seine Behausung zurückkehrte, haben Sie schon auf ihn gewartet. Sie stießen ihm das Messer hinterrücks in den Hals, und er ist verblutet. Ach, übrigens, ich habe mich gefragt, was Sie dabei angehabt haben?«
»Ich hatte etwas Praktisches an. So wie früher. Korsett und Krinoline wären wohl etwas im Weg gewesen.«
»Sie brachten McParland zum Schweigen und beseitigten alle Spuren seiner Identität. Lediglich das Zigarettenetui ist Ihnen entgangen. Als er aus dem Weg geräumt war, schien die Bahn frei für Sie. Jetzt konnten Sie Ihren ursprünglichen Plan ungestört weiterverfolgen.«
»Es geht noch weiter?« Carstairs Frage war mehr ein heiseres Keuchen. Alles Blut hatte sein Gesicht verlassen, und ich fürchtete schon, er könne jeden Moment in Ohnmacht fallen.
»In der Tat, Mr. Carstairs.« Holmes wandte sich wieder der Ehefrau zu. »Die kaltblütige Ehe, die Sie eingegangen waren, war ja kein Selbstzweck. Sie hatten die Absicht, die Mitglieder der Familie eins nach dem anderen zu töten: erst die Mutter, dann die Schwester und schließlich Ihren Ehemann selbst. Am Ende hätten Sie dann alles geerbt, was ursprünglich ihm gehört hatte: sein Haus, das Geld und die Kunstwerke. Man kann sich den Hass kaum vorstellen, der Sie getrieben hat, und den Genuss, den Sie bei Ihrer Rache empfanden.«
»Es hat mir große Befriedigung verschafft, Mr. Holmes. Ich habe jede Minute genossen.«
»Meine Mutter?« Carstairs stieß die beiden Worte fast lautlos heraus.
»Die wahrscheinlichste Erklärung war ja tatsächlich, dass dieFlamme des Gasofens ausging, ganz wie Sie vermutet hatten. Aber bei näherer Betrachtung hielt diese Erklärung nicht stand. Denn Kirby, Ihr Diener, hat mir gesagt, er fühle sich am Tod Ihrer Mutter mitschuldig, weil er auf ihren Wunsch jede Fuge und Ritze verschlossen hatte. Es konnte also gar keine Zugluft ins Zimmer gelangen und die Flamme auslöschen. Ihre Schwester hingegen war zu einem anderen Ergebnis gelangt. Sie ist der Ansicht, Ihre Mutter hätte Selbstmord begangen, weil sie Ihre Ehe nicht ertragen konnte. Aber obwohl Ihre Schwester Ihre Ehefrau hasst und offenbar ahnt, dass sie etwas verbirgt, ging ihr Verdacht nicht so weit, dass sie die Wahrheit erkannt hätte. In Wirklichkeit hat nämlich Ihre Ehefrau ganz gezielt das Zimmer Ihrer Frau Mutter betreten, die Flamme gelöscht und die alte Dame an einer Kohlenmonoxydvergiftung ersticken lassen. Es durfte ja keine Überlebenden geben, wenn sie sich des Erbes uneingeschränkt erfreuen wollte.«
»Und Eliza?«
»Ihre Schwester wird langsam vergiftet.«
»Aber das ist unmöglich, Mr. Holmes. Ich habe Ihnen doch schon gesagt –«
»Sie haben mir gesagt, dass Sie alles sorgfältig prüfen, was sie isst. Aber das bestätigt mich nur in meiner Vermutung, dass sie auf andere Weise vergiftet wird. Die Antwort, Mr. Carstairs, ist das Badezimmer. Ihre Schwester beharrt darauf, regelmäßig zu baden, und benutzt starkes Lavendel-Badesalz. Ich muss zugeben, dass dies eine völlig neuartige Methode ist, um jemandem Gift beizubringen, und ich bin sehr überrascht, dass sie so wirksam ist, aber ich glaube trotzdem, dass dem Badesalz regelmäßig eine winzige Prise Akonitin beigemischt worden ist. Das Gift ist durch die Haut eingedrungen, zum kleineren Teil hat es Miss Carstairs wohl auch mit den unvermeidlichen Dämpfen eingeatmet, die nun einmal beim Baden entstehen. Akonitinist ein hochgiftiges, wasserlösliches Alkaloid, das Ihre Schwester sofort getötet hätte, wenn sie mehr fünf Milligramm zu sich genommen hätte. Stattdessen haben Sie dieses langsame, aber scheinbar unaufhaltsame Siechtum beobachtet. Es ist eine innovative und verblüffende Methode, jemanden zu ermorden, Mrs. Carstairs, die sicherlich in die Annalen der Kriminalgeschichte eingehen wird. Es war übrigens auch ein
Weitere Kostenlose Bücher