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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
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…«
    »Sagen Sie nichts. Ich muss Ihnen etwas zeigen. Ich bin vorgewarnt worden. Ich hätte es verhindern können …«
    Wir waren in der Baker Street angekommen. Holmes stürzte ins Haus und nahm dabei zwei Stufen auf einmal. Ich folgte ihm etwas langsamer; denn obwohl ich nichts weiter gesagt hatte, schmerzte die Wunde, die ich am Vortag erlitten hatte, weit mehr als zu dem Zeitpunkt, als sie mir zugefügt worden war. Als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich, wie Holmes sich über den Schreibtisch beugte und nach einem Umschlag griff. Es gehörte zu den Besonderheiten meines Freundes, dass er zwar in einem extremen Chaos lebte, in einem Raum, wo sich Briefe und Papiere wild aufeinandertürmten, dass er aber jedes gewünschte Dokument jederzeit finden konnte, ohne lange danach zu suchen.
    »Hier ist es!«, verkündete er. »Der Umschlag verrät uns nichts. Mein Name steht drauf, aber nicht die Adresse. Es wurde von einem Boten gebracht. Wer immer es geschickt hat, unternahm keinen Versuch, seine Handschrift zu verstellen, und ich würde sie bestimmt wiedererkennen. Sie bemerken wahrscheinlich das ungewöhnliche griechische ε in Holmes. Diesen kleinen Extraschnörkel werde ich bestimmt nicht so leicht wieder vergessen.«
    »Und was ist in dem Umschlag?«, fragte ich.
    »Sehen Sie nach«, sagte Holmes und reichte ihn mir.
    Ich klappte ihn auf, und mit einem Schaudern, das ich nicht zu unterdrücken vermochte, zog ich ein Band aus weißer Seide daraus hervor. »Was hat das zu bedeuten, Holmes?«, fragte ich.
    »Das habe ich mich auch gefragt, als ich es erhalten habe. Im Rückblick scheint es so, als wäre es eine Warnung oder ein Hinweis gewesen.«
    »Wann haben Sie es denn erhalten?«
    »Vor sieben Wochen. Damals war ich in diese bizarre Affäre mit einem Pfandleiher verwickelt, Mr. Jabez Wilson, der aufgefordert worden war –«
    »– sich der Liga der Rotschöpfe anzuschließen!«, ergänzte ich, denn ich erinnerte mich gut an den Fall und hatte das Glück gehabt, dabei zu sein, als er gelöst wurde.
    »Genau. Das war ein klassisches Drei-Pfeifen-Problem, und als dieser Umschlag eintraf, war ich mit den Gedanken ganz woanders. Ich habe mir den Inhalt kurz angeschaut und überlegt, was er bedeuten sollte, aber da ich mit anderen Dingen beschäftigt war, legte ich ihn beiseite und vergaß ihn. Doch wie Sie sehen, verfolgt er mich.«
    »Aber wer könnte Ihnen das geschickt haben? Und was wollte er damit erreichen?«
    »Ich habe keine Ahnung, aber schon um dieses ermordetenKindes willen werde ich es herausfinden!« Holmes streckte die Hand aus und nahm mir das seidene Band wieder ab. Er zog es durch seine knochendürren Hände und betrachtete es mit dem gleichen Abscheu, mit dem man eine Giftschlange mustert. »Wenn das eine Herausforderung sein sollte«, sagte er, »dann werde ich sie jetzt annehmen.« Seine Finger schlossen sich um das weiße Band, und er stieß die Faust in die Luft. »Und eins sage ich Ihnen, Watson, wer immer dahintersteckt, wird es bereuen.«

8

Ein Rabe und zwei Schlüssel
    Sally Dixon war weder an diesem Abend noch am folgenden Morgen an ihre Arbeitsstelle zurückgekehrt. Angesichts der Tatsache, dass sie mich angegriffen hatte und vermutlich die Konsequenzen dieser Tat fürchtete, war das nicht weiter erstaunlich. Außerdem hatten die Zeitungen über den Tod ihres Bruders berichtet, und obwohl sein Name nicht erwähnt worden war, schien es denkbar, dass sie erfahren hatte, wer da unter der Southwark-Brücke gefunden worden war. Schlechte Nachrichten verbreiteten sich damals schnell, besonders in den ärmeren Teilen der Stadt. Sie waren wie der Rauch, der anzeigt, wo ein Feuer brennt, sie sickerten in jedes überfüllte Zimmer und jedes trostlose Souterrain, beharrlich und leise, und bedeckten alles mit ihrem klebrigen Ruß.
    Der Wirt vom Bag of Nails wusste schon, dass Ross tot war. Lestrade war bei ihm gewesen, und er war bei unserem zweiten Besuch noch weniger erfreut, uns zu sehen, als am Vortag.
    »Haben Sie noch nicht genug Ärger gemacht?«, fragte er. »Das Mädchen war vielleicht keine Schönheit, aber sie hatte zwei gute Hände, und es tut mir leid, dass ich sie verloren habe. Und die Polizei im Haus zu haben ist auch nicht gut fürs Geschäft! Ich wünschte, Sie wären niemals hierhergekommen.«
    »Es waren nicht wir, die den Ärger hierhergebracht haben, Mr. Hardcastle«, erwiderte Holmes, der den Namen des Wirts über dem Eingang gelesen hatte. »Er war schon da, und wir sind ihm

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