Das Geheimnis des Wuestenprinzen
lieben, Hana? Das hatte ihre Mutter sie das erste Mal gefragt, als sie elf war. Du versuchst ständig, dir und den anderen etwas zu beweisen â dass du die Schnellste, die Intelligenteste und die Stärkste bist, dass du niemanden brauchst â und du merkst gar nicht, wie verletzlich es dich macht.
Nun, da sie Alim betrachtete, spürte sie das Echo jener traurigen Worte im Herzen eines Mannes, den sie erst kurze Zeit kannte, eines Mannes, der in eine reiche, privilegierte Familie hineingeboren und als Bruder des Thronfolgers erzogen worden war und nach dessen Tod â¦
Gequält schloss sie die Augen. Sie hätte ihn so gern getröstet, aber sie konnte ja nicht einmal sich selbst trösten. Er konnte nur mit sich ins Reine kommen, wenn er in die Welt zurückkehrte, in die er gehörte, zu den Menschen, die ihn brauchten.
Doch wie sollte sie ihm das begreiflich machen, wenn sie es selbst nicht schaffte, nach Hause zu gehen?
âWie schlimm wird es für das Dorf sein?â, fragte Alim, während er gen Norden blickte.
Um seine Schuldgefühle nicht schlimmer zu machen, wählte sie ihre Worte sorgfältig. âSie werden es auseinandernehmen, um die Vorräte zu finden, aber das haben sie schon einige Male getan und nichts gefunden.â Sie biss von ihrem Energieriegel ab. âIch habe Malika und Haytham eingeschärft, bei der Version zu bleiben, dass Sie mein Mann sind, und zu sagen, wir seien geflohen, weil wir gehört hätten, was Shâellah mit mir vorhat.â
âOb sie das glauben werden?â
âSchon möglich. Wenn sie die Lebensmittel, die Sie gebracht haben, nicht finden, haben sie keine Beweise.â
Nun wandte er sich gen Süden und sah aus zusammengekniffenen Augen in die Ferne. âWas haben Sie jetzt vor?â
âIch suche Schutz im Flüchtlingscamp.â Dort würde sie allerdings nicht lange bleiben können. Vielleicht hatte ihr Vater jemanden beauftragt, sie zu suchen. Deswegen trug sie immer den Schleier. âSie werden mich in ein anderes Dorf schicken, in dem eine Krankenschwester gebraucht wird.â
âIch sehe eine Staubwolke in etwa vier Kilometern Entfernung, die sich uns nähertâ, informierte Alim sie besorgt.
âSammeln Sie alles ein, was uns verraten könnte, und verwischen Sie unsere Spuren. Und dann lassen Sie uns aufbrechenâ, sagte Hana angespannt, bevor sie ein Tuch aus ihrem Rucksack nahm und es in vier Teile riss, von denen sie ihm und sich jeweils zwei um die Knöchel band. âEs ist nur eine Notlösung, aber der Boden ist so trocken, dass wir ohnehin kaum Spuren hinterlassen.â
âSollen wir laufen oder von Felsen zu Felsen springen, so weit wir können?â
Sie lächelte, und ihr stockte der Atem, als Alim sie ebenfalls anlächelte. âHeute machen Sie Ihrem Namen alle Ehre, Alim. Wir nehmen die Felsen, so lange es geht.â
âJa, ich habe meine Momente â genau wie Sie, Glückliche. â Er zwinkerte ihr zu, und ihr närrisches Herz schlug sofort schneller â wegen der unerwarteten emotionalen Nähe und des unerklärlichen Gefühls der tiefen inneren Verbundenheit, das sie von ihrer ersten Begegnung an verspürt hatte. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.
âWir müssen aufbrechenâ, erinnerte er sie leise.
âJaâ, flüsterte sie, während sie immer noch wie gebannt seinen Mund betrachtete und ein beinah schmerzliches Prickeln sie überlief. Unwillkürlich beugte sie sich zu Alim hinüber.
Er neigte den Kopf, bis sein Atem ihre Lippen fächelte. âWir müssen los, Sahar Thurayya. Ich werde nicht zulassen, dass er Sie in seine Gewalt bekommt. Lassen Sie mich diesmal vorangehen.â
Hana brachte kein Wort über die Lippen, weil sie sich nach seiner Berührung sehnte. Doch sie schaffte es zu nicken.
Er begann, ihre Spuren zu verwischen, und der Moment war vorüber â vorüber für den Augenblick. Aber sie wusste, dass er wiederkommen würde.
Hana folgte Alim von Felsen zu Felsen. In ihr tobte ein einziges Gefühlschaos, doch sie sagte sich, dass eine Beziehung zwischen ihnen keine Zukunft hatte. Sie kannte ihn kaum zwei Tage. Und dennoch sehnte sie sich nach ihm, wie sie sich noch nie zuvor nach einem Mann gesehnt hatte.
Dass er die Führung übernommen, sie jedoch vorher gefragt hatte, verriet einiges über den Menschen, der er war. Er war ein
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