Das Geheimnis meiner Mutter
Jahr am Geburtstag Ihrer Mutter backte. Wie könnte der Leser da nicht mehr wissen wollen? Und die Torte, die Sie selber für die Goldene Hochzeit von Philips Eltern gemacht haben. Ich denke, da steckt noch viel mehr dahinter. Ich meine, seien wir ehrlich – jemand bestellt eine Torte, und das führt dazu, dass Sie den Vater treffen, den Sie nie gekannt haben? Das ist es, was die Leute lesen wollen.“
Jetzt verstand Jenny ihn. Sie warf Philip einen Blick zu und sah, dass auch er es verstanden hatte.
„Sie wollen, dass ich über meine Mutter schreibe“, sagte sie.
Martin legte die Fingerspitzen seiner beiden Hände zusammen. „Wie war es, als sie fortgegangen ist? Und als Ihr Vater letzten Sommer in Ihr Leben getreten ist? Und noch eine Frage – wer ist Joey?“
Oh Gott. „Sie haben in den Archiven nachgeschaut.“ Das war keine Frage.
„Natürlich“, sagte Martin. „Ich nehme dieses Projekt sehr ernst.“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Die empfindlichen Nerven der Vergangenheit lagen mit einem Mal bloß. Keiner dieser beiden Männer wollte ihr etwas Böses, aber ihre genaue Überprüfung war schmerzhaft. Vor Jahren, als sie mit ihrer Kolumne angefangen hatte, war Joey ein Teil ihres Lebens gewesen. Natürlich hatten sich Anspielungen auf ihn und seine italienische Herkunft in ihren Texten wiedergefunden. Sein Vater Bruno, ein liebenswerter Bär von einem Mann, hatte Granny sogar überzeugt, einen Fiadone, den korsischen Käsekuchen, auf die Speisekarte der Bäckerei zu setzen.
„Er, ähm … Joey und ich waren verlobt“, sagte sie schließlich und musterte angestrengt die gestärkte weiße Tischdecke. Die Worte auszusprechen schmerzte immer noch. Sie sah Joey vor sich, lachend und unschuldig, so verliebt in sie, dass seine Ranger-Kollegen sich über ihn lustig machten, weil er jedes Mal zu singen anfing, wenn er an sie dachte. Es gab so viel, was Jenny über Joey hätte sagen können, aber sie war nicht daran gewöhnt, über ihn zu sprechen. Vor allem nicht zu einem Mann, der sie gerade erst kennenlernte, und vor einem – guter Gott – Literaturagenten.
„Honey, es tut mir so leid.“ Philip berührte ihren Arm in einer Geste, die gleichzeitig unbeholfen und tröstlich war. „Ich hasse es, dass dir bestimmte Dinge zugestoßen sind und ich nicht da war, um … ich weiß nicht. Zu helfen oder einfach zuzuhören. Da zu sein.“
Seine schmerzhafte Ehrlichkeit berührte sie, und doch spürte sie auch einen leichten Anflug von Bitterkeit. Sie wünschte, er hätte sie früher gefunden, wünschte, er wäre da gewesen, als sie so verzweifelt jemanden gebraucht hatte. Natürlich war das unmöglich, und vor allem war es nicht sein Fehler. „Es ist alles gut. Das war vor so langer Zeit“, sagte sie. Dann wandte sie sich an Mr Greer. „Ich schreibe nie über zu persönliche Dinge. Ich bin mir nicht mal sicher, dass ich wüsste, wie das geht.“
„Kleine Anekdoten funktionieren in einer Zeitungskolumne.“ Er machte eine Pause. „Aber Sie sollten darüber nachdenken – über die persönlichen Sachen. Denn das ist der Trick an dieser Art von Essen-Memoiren: Es geht nie ums Essen.“
„In anderen Worten“, sagte Jenny an diesem Abend am Telefon zu Nina, „will er, dass mein Blut in die Seiten fließt.“
„Und, kannst du das?“
„Natürlich kann ich. Die Frage ist nur, ob ich es auch will“, erwiderte Jenny. „Und interessiert es wirklich irgendjemanden? Ich bin nur ein Mädchen, das in einer kleinen Stadt aufgewachsen ist und in dem Familienunternehmen ausgeholfen hat. Ich bin niemand Besonderes. Ich dachte, genau das wäre das, was die Leute an meinen Geschichten mögen. Dass sie sich mit ihnen identifizieren können, sie zu ihren eigenen machen. Warum soll ich über meine Mom schreiben und zugeben, dass ich meinen Dad nicht gekannt habe? Warum in Gottes Namen muss ich Joey erwähnen?“
„Die Menschen mögen so was. Eine ganz normale Frau, die sich ungewöhnlichen Situationen stellen muss.“
Jenny versuchte, sich vorzustellen, wie sie bestimmte Dinge zu Papier brächte. „Seit ich ein kleines Kind war, wollte ich eigentlich nur gehört werden. Ich wollte, dass Menschen meine Geschichte erfahren, auch wenn sie nichts Besonderes war. Leute erzählen aus ihrem Leben, und sie wollen, dass es fröhliche Geschichten sind. Wenn man zu nicht so fröhlichen Zeiten zurückkehren muss …“ Sie schaute aus dem Fenster auf die Apartmentgebäude gegenüber, die Schulter an Schulter
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