Das Geheimnis meiner Mutter
Pamela durch ihre Anwesenheit und Mariska durch ihre Abwesenheit schwierig war.
„Und, bist du bereit für unseren Ausflug?“, fragte Jane.
„Auf jeden Fall. Ich wollte schon immer mal das St. Regis sehen.“ Jenny holte ihren Mantel. Den Tee in einem legendären Restaurant einzunehmen, mochte für Jane Bellamy alltäglich sein, doch für Jenny war es etwas ganz Neues.
„Ich kehre dort normalerweise einmal im Monat ein“, erklärte Jane. Sie hatte ihren eigenen Chauffeur, einen ruhigen Mann in einem guten Anzug, der in einer fremden Sprache in sein Headset murmelte, während er den Wagen durch den Verkehr steuerte. „Früher habe ich meistens Olivia mitgenommen. Es war so etwas wie eine Tradition von uns beiden.“
Jenny und Granny hatten auch Traditionen gehabt, aber die waren weitaus bescheidener gewesen. Jenny ging jeden Nachmittag nach der Schule in die Bäckerei. Dort setzte sie sich mit einem Glas Milch und einem warmen Keks an einen der Arbeitstische, drehte sich mit dem Stuhl herum und herum und erzählte Granny aufgeregt von ihrem Tag.
„Olivia und ich haben damit angefangen, als sie zehn oder elf war“, fuhr Jane fort. „Ich bin mir sicher, dass es ihr nichts ausmacht, wenn ich dir erzähle, dass die Scheidung ihrer Eltern sie sehr mitgenommen hat.“
„Das hat sie mir erzählt, ja“, sagte Jenny.
„Ich kann nicht sagen, dass der Nachmittagstee es besser gemacht hat, aber ich bin mir sicher, dass die zusätzliche Aufmerksamkeit sicher nicht schädlich war.“ Jane streckte ihre Hand aus und tätschelte Jennys Arm. „Hör mich nur an, ich plappere und plappere.“
„Das macht mir nichts aus.“
Der Wagen fuhr vor dem Hotel vor, einem Wahrzeichen der Stadt im Beaux-Arts-Stil. Ein Portier in Livree eilte herbei, um die Wagentür zu öffnen. Er reichte Jane die Hand, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. „Guten Tag, Mrs Bellamy“, sagte er.
Wir sind definitiv nicht mehr auf dem Land, dachte Jenny beim Betreten der opulenten Lobby.
Die Hostess kannte Jane Bellamy ebenfalls mit Namen. Sie führte sie durch einen Palmengarten zu ihrem Tisch in dem hellen, eleganten Teesalon. Gedämpfte Unterhaltungen und beruhigende Harfenmusik erfüllten die Luft. Jane strahlte Jenny an. „Und, bist du beeindruckt? Das war nämlich mein Ziel.“
Jenny lachte. „Machst du Witze? Ich bin definitiv beeindruckt. Sie behandeln dich hier ja wie einen Promi.“
„Das ist das Privileg des Alters.“ Jane wurde ernst. „Als Charles und ich nach der Hochzeit in die Stadt zogen, fühlte ich mich genauso, wie du dich jetzt vermutlich fühlst – verloren und verwirrt. Das Einzige, was mich aufrecht hielt, war das Wissen, dass ich meine Sommer im Camp Kioga verbringen würde. Weißt du, Jenny, es ist nicht beschämend, Heimweh zu haben.“
„Ich habe kein Heimweh. Das sollte ich auch besser nicht bekommen.“ Als sie Janes verwirrten Gesichtsausdruck sah, fügte sie erklärend hinzu: „Ich wäre schwer enttäuscht von mir, wenn ich Heimweh hätte.“
„Meine Liebe, auch wenn wir uns noch nicht lange kennen, bin ich doch deine Großmutter und rieche eine Lüge auf eine Meile Entfernung.“
„Aber …“ Jenny starrte in ihre Teetasse; warmer, bernsteinfarbener Earl Grey mit dem Duft nach Bergamotte. „Mein ganzes Leben lang glaubte ich, dass ich genau dies will. Ich würde mich wie eine Versagerin fühlen, wenn ich nicht dächte, dass hier gerade ein Traum wahr wird.“
„Unsinn“, sagte Jane. „Du kannst deinen Gefühlen nicht deinen Willen aufzwingen.“ Sie lächelte sehnsüchtig. „Ich wohne seit fünfzig Jahren nicht mehr in Avalon, aber ich vermisse es immer noch.“
Jenny war überrascht. „Warum ziehst du dann nicht zurück?“
„Mein Leben ist hier, weil Charles hier ist. Wenn man mit dem Menschen zusammen ist, den man liebt, ist man zu Hause. Hast du jemals geliebt, Jenny?“
Sie dachte an Joey, an die Pläne, die sie geschmiedet hatten, und wie dann alles auseinandergebrochen war. „Nicht auf diese Art“, gab sie zu. „Nicht so, dass ich ihm bis ans Ende der Welt gefolgt wäre.“ Sie nahm einen Schluck Tee und stellte sich Janes ruhigem Blick. „Ich war verlobt“, sagte sie. „Sein Name war Joey, er war Soldat in der Armee.“
„Ich nehme an, es hat nicht funktioniert?“
„Er ist gestorben.“ Jane verdiente sehr wahrscheinlich eine ausführlichere Erklärung, aber Jenny traute sich im Moment nicht, mehr zu sagen, aus Angst, dann zusammenzubrechen. Sie dachte
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