Das Geheimnis meiner Mutter
Dankbarkeit. Ja . Er hatte gehofft, dass der Umzug nach Avalon ihn seinen Kindern näherbringen würde. Vielleicht war das der erste Schritt. Max hatte die Nacht bei einem Freund verbracht und würde erst am Nachmittag wiederkommen. Er und Daisy hätten also ein wenig Zeit ganz für sich alleine.
Die Dämmerung war nicht mehr als ein schmaler Streifen am Horizont, als sie sich anzogen und die Ausrüstung hinten im Truck verstauten. „Ich bin kurz vorm Verhungern“, platzte Daisy heraus, kaum dass sie losgefahren waren.
„Du hast doch gesagt, dass du kein Frühstück willst“, sagte Greg, der eine Schüssel Haferflocken gegessen hatte.
„Aber jetzt hab ich doch Hunger.“
Er ermahnte sich, geduldig zu sein. „Wie wäre es, wenn wir an der Bäckerei anhalten und uns was mitnehmen?“
Sie lächelte ihn an. „Perfekt.“
Selbst um diese Uhrzeit war in der Bäckerei schon ordentlich was los. Er erblickte eine Gruppe Abfahrtskifahrer und einige Frühaufsteher, die beim Frühstücken Zeitung lasen. Und … Greg musste zwei Mal hinsehen, ehe er die Frau vor ihm in der Reihe erkannte.
„Nina“, sagte er und stellte sich dann vorsichtshalber noch einmal vor. „Greg Bellamy.“
Sie schenkte ihm ein Lächeln, das einer Sophia Loren würdig war. „Ich erinnere mich. Wie geht es dir?“ Er versuchte, sie nicht zu offensichtlich anzustarren, aber verdammt. Diese Nina war ganz anders als die, die er direkt nach seinem Umzug getroffen hatte. Da war sie durch und durch Bürgermeisterin gewesen. Diese Nina hier jedoch trug eine Jeans und Schneestiefel und eine gestrickte Mütze, mit der sie kaum älter aussah als ihre Tochter Sonnet. „Du bist früh auf“, bemerkte sie.
„Ich gehe mit meiner Tochter zum Skilaufen“, sagte er. „Langlauf, drüben in den Avalon Meadows.“
„Das klingt nach einer Menge Spaß. Wie geht es Daisy denn?“
Er versuchte, zwischen den Zeilen ihrer Frage zu lesen. Keine Ahnung, was sie meinte. Vielleicht war das einfach die Art, wie Politiker redeten. „Ihr geht es gut. Ich freue mich darauf, heute den Tag mit ihr zu verbringen. Läufst du auch Ski?“
„Natürlich“, erwiderte sie. „Abfahrt und Langlauf. Beides gleich schlecht.“
Gut zu wissen.
Als Nina an der Reihe war, bestellte sie einen einfachen Espresso bei dem Jungen … Zach, erinnerte Greg sich gerade noch rechtzeitig, um ihn mit Namen anzusprechen und seine eigene Bestellung aufzugeben. Zwei heiße Kakaos und zwei Käsekuchen-Kolaches zum Mitnehmen.
Das ist nicht gut, dachte er, als er seine Augen nicht von Nina losreißen konnte. Seine Ehe war gerade mal ein paar Monate vorbei, und er hatte bereits unkeusche Gedanken über eine andere Frau.
Er bezahlte und wandte sich zur Tür, wobei er beinahe den heißen Kakao über Nina geschüttet hätte. „Tut mir leid.“ Er packte das Papptablett fester. „Ich hab dich nicht gesehen.“
„Ehrlich gesagt habe ich auf dich gewartet.“
Oh-oh.
Sie lächelte, als hätte sie seinen gedachten Kommentar gehört, und reichte ihm eine Visitenkarte. „Kein Grund zur Panik. Ich habe mich nur gefragt … ob du vielleicht mal Lust hättest, einen Kaffee trinken zu gehen … oder so.“
Ja. Ja. Ja.
Sein Mund wurde ganz trocken. „Das ist sehr nett von dir, Nina. Wirklich. Aber, äh, vielleicht lieber nicht.“ Er hielt inne und atmete tief durch, überlegte, wie er es erklären sollte.
Doch dazu ließ sie ihm erst gar keine Gelegenheit. „Okay, kein Problem“, sagte sie mit fröhlicher Stimme. „Ich dachte nur, ich frage mal.“
„Aber ich …“
„Bis dann, Greg.“ Sie ging zu einem Tisch, an dem schon einige Einheimische saßen, und setzte sich dazu.
„Ich bin so ein Idiot“, murmelte er. Er stellte das Tablett kurz ab, steckte die Karte in seine Brieftasche und verließ das Café.
„War das Nina Romano, mit der du dich unterhalten hast?“, fragte Daisy, als er am Auto ankam.
„Äh, ja.“ Er stellte die Becher in die Becherhalter und reichte seiner Tochter die Tüte mit den Kolaches.
„Was wollte sie?“
„Wer, Nina?“
„Ja, Nina. Mein Gott, Dad.“
„Sie hat nur Hallo gesagt.“
„Was für ein Lügner.“
„Bin ich nicht …“ Doch, das war er. Und was für ein schlechter. „Sie hat mich nach einer Verabredung gefragt. Da. Bist du jetzt zufrieden?“
„Oh“, sagte Daisy. „Ih.“
Er lenkte den Wagen in Richtung der Straße, die am Fluss entlangführte. „Genau meine Gedanken.“ Noch eine Lüge, aber er würde seiner Tochter
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