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Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm

Titel: Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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die Sinne waren in Aufruhr. Kam es ihm nur so vor, oder war die Kuchentheke tatsächlich so reichhaltig bestückt, wie er sie wahrnahm? Herr Schweitzer hätte nach Herzenslust zuschlagen können. Aber er wollte auch stark sein, den mannigfaltigen Verlockungen die Stirn bieten. Das bleibt aber eine große Ausnahme, redete er sich gut zu. Seine Augen folgten den Bewegungen der Fachkraft. Nein, nicht einpacken, ich esse es eh gleich, hätte er am liebsten verkündet. „Wenn Sie noch eine Plastikgabel hätten.“
    „Natürlich, aber gerne.“
    Nach dem Bezahlen hatte er es sehr eilig. Herr Schweitzer flitzte den Bürgersteig entlang, wartete nicht auf Grün und saß alsbald auf einem Bänkchen im Park des Alten Friedhofs, der fast nur noch aus Rasen bestand; verbuddelt wurde hier niemand mehr. Er war außer Betrieb, nur noch vereinzelt standen ein paar verwitterte Grabsteine herum, um die sich niemand mehr kümmerte. Ruckzuck hatte er die Welt um sich herum vergessen. Die Esterházy-Tortenstückchen waren einsame Spitze. Er schmatzte, was das Zeug hielt. Sein Magen klatschte Beifall. Seine Geschmacksnerven teilten ihm mit, seit dem Kambrium nicht mehr so vorzüglich gefuttert zu haben.
    „Gelobt sei Jesus Christus“, vollendete Herr Schweitzer den Hochgenuß auch sprachlich.
    „Ach, du Scheiße“, kam es von einem Obdachlosen eine Bank weiter, der dem seltsamen Geschöpf beim Mampfen zugeschaut hatte. „Hat man denn nirgendwo mehr seine Ruhe vor der Heilsarmee?“
    „Gott ist in uns, Bruder“, entgegnete Herr Schweitzer sofort. Sein Gesichtsausdruck deutete stark darauf hin, daß er gerade von Maria – nicht seine Freundin, die Maria vom Josef ist gemeint – eine Botschaft zur Umkehr des Klimawandels erhalten hatte.
    „Amen für die geistig Armen.“ Mit diesen Worten floh der Obdachlose aus der Reichweite des vermeintlichen Predigers von Gottes Gnaden. Den Seelentröster in Lambrusco-Form hielt er fest umklammert in seiner Faust. Besser ist das.
    Der glücklichste Mensch der Welt knüllte das Papier zusammen und warf es mit der Gabel zusammen in den Mülleimer neben der Parkbank, die von einem Sachsenhäuser Reisebüro gestiftet war. Müsli, wie konnte ich mir das nur antun? Esterházy-Torte, warum hat mir bislang keiner davon erzählt? Doch damit ist nun ein für allemal Schluß, schwor er sich. Diäten machen krank und sind was für Fertige. Basta! Ich bin doch nicht auf der Welt, um mich zu Tode zu hungern. Außerdem habe ich mich voll im Griff, denn ich gehe jetzt nicht zurück und hole mir noch einen Frankfurter Kranz, nein, nein und nochmals nein. Ich bin stark. Ich will keine Torte mehr, ich will einen Joint. Auch an einen Verdauungsschnaps dachte Herr Schweitzer.
    Knallhart auf beides verzichtend ging Herr Schweitzer zurück in die Brückenstraße. Dort betrieb zwar auch sein Dealer Giorgio-Abdul, gut getarnt in einer Döner-Bude, seinen schwunghaften Marihuana-Handel, doch ließ er diesen links liegen und betrat behende einen erst neulich eröffneten Friseur-Laden.
    Herr Schweitzer hatte noch nie zu der Sorte Mensch gehört, die anderen nacheiferte. Ganz im Gegenteil. Für Deutschlands Volkssport Nummer eins hatte er nur Verachtung übrig. Legte sich einer seiner Nachbarn ein neues schweineteures Auto zu, so überlegte er stets, was man mit dem Geld alles hätte anfangen können. Für einen durchschnittlichen Mercedes-Neuwagen ließ es sich zum Beispiel fast acht Jahre lang jeden Tag im Eichkatzerl ganz fürstlich speisen und trinken. Beim Dautel wären es immerhin noch sechs bis sieben Jahre gewesen.
    Und trotzdem! Sein Friseurgang fußte auf dem vorangegangenen Besuch beim Sachsehäuser Käsblättche. Mit Melibocus’ Wandel vom Chaoten zum Saubermann hatte Herr Schweitzer seine Orientierung verloren. Klar, er hätte nach Hause gehen und mit dem Großreinemachen beginnen können, aber das wäre dann doch des Guten zu viel.
    Herr Schweitzer war der einzige Kunde. „Einmal die Hälfte ab, bitte“, instruierte er den persisch und homosexuell aussehenden Friseurmeister.
    – Rückblende –
    Was ihn wenige Stunden vor der geplanten Tat zum Kuhhirtenturm getrieben hatte, wußte er nicht. Auch nicht, warum er die Pistole schon jetzt mitgenommen hatte.
    Jedenfalls saß er auf einem Geländer gegenüber des Hinterausgangs der Jugendherberge und starrte trübsinnig vor sich hin. Nur wenige Menschen waren in der kopfsteingepflasterten Großen Rittergasse unterwegs, die deswegen so hieß, weil hier einst

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