Das Geheimnis vom Kuhhirtenturm
genau das herauszukriegen.
Als er auf gleicher Höhe war, begegneten sich ihre Blicke.
An diesem Morgen hatte sich Herr Schweitzer für seine Verhältnisse recht früh auf den Weg nach Oberrad gemacht. Er hatte einen guten Tag erwischt, so schien es. Nur einmal hatte er den Motor beim Ausparken abgewürgt. Er hatte noch keine Erfahrung damit, im zweiten Gang anzufahren. Aber er war lernfähig. Der ganze Trick bestand darin, einfach mehr Stoff zu geben. Bereits an der Radarfalle am Oberräder Ortseingang konnte er virtuos mit dem Gaspedal umgehen. Es blitzte. Na und?
Genau zwei Tage wollte er sich Zeit geben. Wenn er bis dahin nicht das Gefühl hatte, der Esterházy sei der gesuchte Mörder von Jens Auer, würde er sich wieder seinem Lieblingshobby widmen, welches da Müßiggang hieß. Schon jetzt zu dieser frühen Stunde spannte sich ein makelloser blauer Baldachin von West nach Ost, von Nord nach Süd. Nicht einmal der Hauch eines Wölkchens trübte den Himmel. Was lag also näher, als sich ab übermorgen wieder in die Hängematte zu verziehen?
Noch war Herrn Schweitzers ärgster Gegner der Hüne. Deswegen auch der Strohhut. Das sollte sich aber alsbald ändern.
Beim Metzger hatte er zwei Leberkäsbrötchen erstanden. Eine Flasche Mineralwasser lag auf dem Beifahrersitz. Für heute hatte er keine weiteren Termine. Er wollte so lange ausharren, bis etwas passierte. Egal was. Geduld ist eine Jägertugend. Nicht einmal der Hüne sollte ihn aus der Ruhe bringen. Das hatte er sich ganz fest vorgenommen.
Herr Schweitzer ergatterte denselben Parkplatz wie gestern. Die Rückspiegel, innen wie außen, waren so eingestellt, daß er den gesamten Goldbergweg bis zur Kreuzung im Blickfeld hatte.
Er hatte gerade das erste Brötchen vertilgt, als der bereits bekannte Glatzkopf an der Ecke zur Buchrainstraße auftauchte. Das Opernglas lag griffbereit im Schoß. Zur Sicherheit warf er noch einen Blick auf die akkurat getrimmte Hecke, hinter der gestern der Hüne erschienen war. Den linken Außenspiegel unterwarf er noch einer Feinjustierung. Herr Schweitzer war in seinem Element und hochkonzentriert.
Drei Meter hinter dem Käfer betrat der Glatzkopf die Straße. Eine Plastiktüte baumelte in seiner rechten Hand.
War es Zufall, daß gerade jetzt ein kleiner Lieferwagen entgegenkam? Jedenfalls näherte sich der Glatzkopf, anstatt die Straße zu überqueren, ganz gemächlich seinem Wagen von hinten.
Dann stand er direkt neben ihm, um den Lieferwagen passieren zu lassen. Durch das offene Fenster hätte ihn Herr Schweitzer berühren können. Plötzlich drehte sich der Kahlköpfige um und blickte ihm mitten ins Gesicht.
Und während sich Esterházy fragte, ob so ein Bulle aussieht, stellte sich Herr Schweitzer eine ähnlich gelagerte Frage. Sieht so ein Mörder aus?
Trotz eines letzten Restzweifels antwortete der Gejagte mit ‚Nein’, der Jäger hingegen mit ‚Vielleicht’.
Es war der Restzweifel, der Jens Auers Mörder, nachdem er zurück in seiner Wohnung war, dazu veranlaßte, die Gardine beiseite zu schieben, um den Käfer erneut in Augenschein zu nehmen. Und weil Esterházy alles andere als blöd war, verdächtigte er den dicken Strohhut-Menschen tatsächlich der Privatdetektiverei, wenn auch nur halbherzig. Doch wer sollte ihn beschatten lassen? Wer könnte einen Grund dafür haben? Esterházy schüttelte den Kopf. Nichtsdestotrotz ging er alle Möglichkeiten durch. Bei insgesamt drei Morden war das gar nicht so einfach.
Fünf Minuten stand er reglos am Fenster. Dann mußte er sich eingestehen, daß nichts, aber auch rein gar nichts diese seine These untermauern konnte. Ganz im Gegenteil. Kein Privatschnüffler fährt eine derartige Rostbeule wie der Knilch dort unten. Nicht in Deutschland. In Sierra Leone vielleicht, aber nie und nimmer hierzulande. Selbst mit dem Fahrrad hätte er ihn in Nullkommanix abgehängt. Wenn die Schrottkarre von Käfer die nächsten Meter überhaupt überstand. Woran er stark zweifelte. Obwohl, so ein VW, der rollt ja bekanntlich, und rollt und rollt. Und außerdem, so schien es ihm, umgab den Typ irgendwie eine beschissene Aura, auch wenn er sie nicht näher definieren konnte.
Esterházy beschloß, sich endgültig zu vergewissern. Nun, da er wieder Gefallen am Leben gefunden hatte, durften ihm nichts und niemand in die Quere kommen. Schon gar nicht ein solcher Amateur, der sich nicht einmal ein anständiges Auto leisten konnte.
Er zog sich seine Trainingsklamotten an.
Herr Schweitzer
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