Das Geheimnis von Digmore Park
die Hände. Was sollte er jetzt tun? Er konnte doch nicht auf gut Glück in den Norden von Hampshire reiten und sich umhören, ob jemand einen Mr. Jennings kannte. Jennings war ein weitverbreiteter Name, es würde Jahre dauern, bis er den Richtigen fand. Wenn er je den Richtigen finden würde!
Dewary sprang auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Wütend warf er seinen Reithut in hohem Bogen auf sein Bett zurück. Schließlich sank er auf seinen Lehnsessel, dabei hatte er gar keine Zeit zu sitzen: Sein Plan war gründlich fehlgeschlagen, er musste das Haus verlassen, und zwar so schnell wie möglich! Doch wohin sollte er gehen? Zurück ins Wirtshaus? Und dann? Während er so grübelte, den Kopf wieder in seine Hände gestützt, da vernahm er ein leises Geräusch: Der Schlüssel seiner Zimmertür hatte sich im Schloss gedreht. Nun würde Major Dewary so schnell nirgendwohin gehen.
30. Kapitel
„Was zum Teufel!“ Dewary sprang von seinem Sessel auf und war mit drei großen Schritten an der äußeren Tür. Er ließ jede Vorsicht fahren und rüttelte mit aller Kraft an der Klinke. Doch, es war, wie er es befürchtet hatte, sie war versperrt. Dewary stürzte zum Fenster. Versammelte sich unten bereits die Rotte, um zu ihm heraufzukommen und ihn in Ketten aus dem Haus zu schleifen? Durch den Spalt im Vorhang überblickte er den Vorplatz. Ein Mann ging mit geschultertem Gewehr seine Runden. Anscheinend hatte es sich noch nicht bis zu ihm durchgesprochen, dass der Vogel bereits im Käfig saß. Major Dewary lachte bitter auf. Wie hatte der alte General immer gepredigt? Ziehen Sie in keine Schlacht, ohne dass Sie sich eine Rückzugsmöglichkeit offenhalten. Wie hatte er als umsichtiger Offizier bloß gegen diesen Leitspruch verstoßen können? Allerdings: Er hatte tatsächlich eine Rückzugsmöglichkeit. Und er würde sie nutzen, bevor es zu spät war.
Auf dem Tisch neben dem Bett stand der Leuchter, wie immer bereit, ihm in der Nacht den Weg zu weisen. Er entzündete die Kerze und trug sie vor sich her zu der kleinen Tapetentür. Dann trat er in das Priesterversteck hinein. Es war niedrig und eng, mehr als ein Mann hätte darin keinen Platz gefunden. Er drehte sich um und zog die Tür von innen zu. Nun würde kein unkundiges Auge diesen Eingang von außen entdecken. Bis auf das Flackern der Flamme war es finster um ihn herum. Er hielt den Atem an. Nur jetzt nicht Gefahr laufen, dass die Kerze erlosch. Wie gut, dass es diesen geheimen Weg gab, den Weg in die Freiheit, der in vergangenen Zeiten bereits so manchem geholfen hatte, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Die schmale Treppe, die er jetzt langsam hochstieg, war steil. Er musste aufpassen, dass er nicht stolperte, denn die einzelnen Stufen waren unterschiedlich hoch. Dichte Spinnweben zeugten anschaulich davon, dass dieser Fluchtweg viele Jahrzehnte lang nicht mehr benutzt worden war. Schon nach kurzer Zeit stand er vor der rettenden Tür, der Tür zum Turmzimmer. Hier würde er die nächsten Stunden abwarten, bis sich alle zur nächtlichen Ruhe begeben hatten. Dann würde er das Haus verlassen und auf Jupiters Rücken das Weite suchen. Ob man ihn wohl schon in seiner Kammer suchte? Hatte man bereits anspannen lassen, um den Friedensrichter, Sir Thomas Streighton zu informieren? Es war nicht anzunehmen, dass dieser sich noch am selben Abend nach Digmore Park bemühen würde. Doch spätestens am nächsten Vormittag würde er mit Sicherheit erscheinen, um den Gefangenen in Gewahrsam zu nehmen. Dewary lachte trocken auf. Bis dahin wäre er längst über alle Berge.
Der Major hatte mit seiner Vermutung recht gehabt. Tatsächlich wurde ein Diener umgehend zu Sir Streighton geschickt, um ihm mitzuteilen, man habe Frederick Michael Dewary in seinem Schlafgemach eingeschlossen. Es hätte Dewary allerdings in Erstaunen versetzt, wenn er gewusst hätte, dass man den Friedensrichter nicht bat, bereits am folgenden Morgen nach Digmore Park zu kommen, sondern ihn ersuchte, noch drei Tage mit seinem Besuch zu warten.
Doch nicht nur die Kutsche mit der Nachricht an den Friedensrichter verließ zu später Stunde die Stallungen von Digmore Park. Zur gleichen Zeit machte sich eine einsame Gestalt auf den Weg durch die Waldungen, einen kleinen Leinensack über der Schulter. Am Waldrand angelangt, blickte die Gestalt suchend von rechts nach links und atmete hörbar auf, als sie das Schnauben eines Pferdes vernahm. Das Bündel wurde über den Sattel geworfen, das Pferd
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