Das Geheimnis von Digmore Park
mein ganzes Leben. Er ist ein kultivierter, äußerst gebildeter Mann. Natürlich war ich dennoch überrascht, dass Tante Barbara Zuneigung für ihn gefasst hatte. Und noch mehr hat mich überrascht, dass Mr. Jennings diese Zuneigung erwiderte und um ihre Hand angehalten hat.“
„Das ist natürlich in der Tat ungewöhnlich“, bestätigte der Pfarrer mit verkniffenem Mund, und Dewary war sich nun ganz sicher, dass in seinen Worten mehr als nur ein Hauch Missbilligung mitschwang.
„Ich nehme doch nicht an, dass es eine Doppelhochzeit gab, als du auf Heimatbesuch in Digmore Park warst.“ Jetzt war die Stimme des Pfarrers der reinste Spott.
„Natürlich nicht, was für eine absurde Vorstellung! Die Tage waren allein für Irenes Festlichkeiten bestimmt. Doch am Abend danach nahm mich Tante Barbara zur Seite, um mich in ihre Pläne einzuweihen. Mr. Jennings wollte in den Norden von Hampshire ziehen, wo ihm sein Bruder ein Haus hinterlassen hatte, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Tante Barbara hatte beschlossen, ihn zu begleiten und ihn dort in aller Stille zu heiraten.“
„Wie stand dein Vater zu all dem?“
„Solange ich auf Digmore Park war, war er in Tante Barbaras Pläne nicht eingeweiht. Mylady hatte entschieden, abzureisen und für ihren Sohn und ihren Bruder eine Nachricht zu hinterlassen, die sie erst finden sollten, wenn sie schon im Norden weilte.“
„Sie nahm also an, dass dein Vater nicht einverstanden sein würde?“
„Ich vermute, sie war sich da selbst nicht ganz sicher. Und ihr Sohn Edward war der Letzte, der etwas erfahren sollte. Sie hatte Angst, er könnte die Hochzeit verhindern!“
Das war nur zu verständlich. Mr. Bishop wollte nicht im Traum daran denken, dass seine Mutter planen könnte, einen Kammerdiener zu ehelichen! Diese Schande würde seine kirchliche Laufbahn mit einem Schlag zunichtemachen. Er konnte Lord Bakerfield gut verstehen. Auch er würde alle Hebel in Bewegung setzen, um so eine Mesalliance zu verhindern!
„Mr. Jennings ist also am Tag meiner Abreise in die Kutsche gestiegen, die ich ihm zur Verfügung gestellt habe. Ich habe extra das bequemste Modell genommen, damit meine Tante zumindest noch ein paar Tage lang den Komfort genießen konnte, der ihr ihrer Abstammung gemäß zustand. Paul, einer der Stallburschen, wurde mit dem Auftrag mitgeschickt, die Kutsche wieder zurückzubringen.“
„Das ist ja eine abenteuerliche Geschichte!“
Dewary lächelte, ganz in seine Erinnerung versunken. „Ja, nicht wahr? Tante Barbara und Mr. Jennings hatten alles genau bedacht. Sie wollten sich vom Kutscher nur zu einer Stadt in der Nähe ihres künftigen Wohnorts bringen lassen und für den Rest der Strecke die Postkutsche nehmen. So würde der Bursche nach Digmore Park zurückkehren, ohne ihr genaues Ziel zu kennen.“
„Angesichts dessen, was sie vorhatten, sicher eine kluge Entscheidung“, gab Mr. Bishop widerwillig zu.
„Das war Lady Barbara ausgesprochen wichtig, denn sie wollte verhindern, dass ihr Sohn Hals über Kopf aufbrach, um ihr eine schreckliche Szene zu machen. Sie war sich sicher, dass er außer sich sein würde vor Wut! Eine Lady Bakerfield hatte sich nicht mit einem Kammerdiener zu vermählen! Noch dazu in ihrem Alter! Sie kannte Edwards Ansichten: Frauen um die fünfzig hatten sich in Würde auf den Tod vorzubereiten und nicht noch einmal vor den Traualtar zu treten.“
Eine Meinung, der sich Mr. Bishop uneingeschränkt anschloss. Doch er war klug genug, zu schweigen.
„Ich selbst habe Tante Barbaras Gepäck durch den Hinterausgang zur Kutsche getragen, damit niemand Verdacht schöpfte. Dann habe ich mich von allen verabschiedet. Meine Tante war in der Zwischenzeit mit ihrem Pferd in den Wald am Rande der Straße geritten. Im Schutz der Bäume stieg sie zu mir in die Kutsche, und das Pferd machte sich allein auf den Weg nach Hause.“
„Das wird ja immer abenteuerlicher! Dewary, ich habe das Gefühl, du liest aus einem Schauerroman vor!“
„Und dennoch hat es sich genau so zugetragen! Lady Barbara hatte sogar vorsorglich ihre Zimmertür versperrt und die Bediensteten angewiesen, sie nicht mehr zu stören, da sie Kopfschmerzen habe. Fraglos hat man ihr Verschwinden nicht vor dem nächsten Tag entdeckt!“
„Das war aber nicht wirklich fair, die anderen in Sorge und Unwissenheit zu lassen!“
„Was hätte sie denn anderes tun können? Wenn du wüsstest, wie glücklich sie war! ‚In drei Tagen bin ich verheiratet, mein Junge’,
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