Das Geheimnis von Digmore Park
besten beantworten kann.“
„Dass ich derjenige bin …?“, echote Dewary ratlos.
Der Pfarrer blickte seinem Freund prüfend ins Gesicht. Obwohl er immer an seine Unschuld geglaubt hatte, waren die Schilderungen auf Digmore Park so plastisch gewesen, dass er es kurz selbst für möglich gehalten hatte, dass sein Freund ein Mörder war. Doch nun waren seine Zweifel verflogen. „Es tut mir leid, alter Knabe, dir das mitteilen zu müssen, aber deine Tante Barbara, Lady Bakerfield, wurde ermordet.“
„Ermordet?“ Der Major schlug die Hände vors Gesicht. „Das ist ja grauenhaft! Das ist ja unvorstellbar schrecklich. Wer hat es getan? Ihr Ehemann? Nein, dem vermag ich die Tat keinesfalls zuzutrauen. Nun sag schon, Bishop, waren es Straßenräuber? Hat man sie auf der Reise in den Norden überfallen? Wann um Himmels willen ist das geschehen? Warum hat mich niemand im Feld davon in Kenntnis gesetzt?“
„Dass man das nicht tat, hat einen simplen Grund, Frederick …“ Der Geistliche räusperte sich und rang erneut um Worte. „Der Grund ist der … wie ich dir schon angedeutet habe … man hält dich für ihren Mörder.“
Frederick sprang von der Bank auf und starrte seinem Freund fassungslos ins Gesicht. „Das kann unmöglich dein Ernst sein! Sag, dass das nicht wahr ist!“
Diesen Gefallen konnte ihm sein Freund nicht erweisen.
„Wie kommt man denn auf eine derart absurde Idee? Ich habe Tante Barbara geliebt! Wo hat man sie gefunden?“
„Soweit ich weiß, wurde ihre Leiche aus eurem Waldsee geborgen.“
„Aus unserem Waldsee? Und wie, um Himmels willen, bringt man mich damit in Verbindung? Ich war doch die letzten Wochen in Spanien! Wie hätte ich da Tante Barbara ermorden und in den See werfen können?“
Sein Freund legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter. „Wahrscheinlich ist es am besten, wir setzen uns beide in Ruhe hierher. Und du erzählst mir von Anfang an, was sich bei deinem Heimaturlaub vor zwei Monaten zugetragen hat. Wie lange warst du im April auf Digmore Park?“
Folgsam nahm Dewary wieder Platz und überlegte. „Kaum länger als eine Woche. Wie du dir vorstellen kannst, war es nicht leicht, überhaupt Urlaub zu bekommen. Wir waren eben auf dem Rückzug vom Schlachtfeld und dabei, uns neu aufzustellen. Meine Schwester Irene heiratete, wie du sicher bereits erfahren hast …“
Er wartete, bis der Pfarrer bestätigend nickte, bevor er fortfuhr: „Der Kommandant war mir … aus dem einen oder anderen Grund … noch eine Gefälligkeit schuldig. Also bekam ich die Erlaubnis, zur Hochzeit meiner Schwester nach Hause zu reisen.“
„Wo ist deine Schwester jetzt? Ich habe sie auf Digmore Park nicht angetroffen.“
„Ihr Mann, Jasper, ist Professor an der Universität von Oxford. Er bekam die einmalige Gelegenheit, an Ausgrabungen in der Nähe von Athen teilzunehmen, und dort halten sich die beiden derzeit auf.“
„Du wirst mir doch nicht weismachen, dass ihn deine Schwester bis nach Griechenland begleitet hat! Das ist doch viel zu gefahrenreich für eine junge Frau!“
Das stolze Lächeln des älteren Bruders stahl sich auf Dewarys Lippen. „Meine Schwester ist etwas ganz Besonderes! Seit ihrer frühesten Kindheit ist sie ganz versessen auf griechische Geschichte und Mythologie. All das, was wir Knaben in Eton mit Fleiß und Mühe lernen mussten, war für sie ein Kinderspiel. Also setzte sie alles daran, ihren Verlobten zu überreden, sie mitzunehmen. Die Heirat musste natürlich noch vor der Abreise Anfang Mai stattfinden. Der Termin, an dem die Ausgrabungen beginnen sollten, stand seit langem fest. Irene bat mich, ihr Trauzeuge zu sein, eine Bitte, der ich mich keinesfalls entziehen konnte. Sie ist meine einzige Schwester!“
„Und deine Tante war bei der Hochzeit zugegen?“
„Natürlich war sie das! Sie lebte doch mit uns auf Digmore Park. Und Papa war noch bei guter Gesundheit, als ich mich verabschiedete. Etwas müde vielleicht und etwas traurig. Er gestand mir am Vorabend der Hochzeit, dass er die Einsamkeit fürchtete.“ Dewarys Gesicht verdüsterte sich. „Du kannst mir glauben, Bishop, dass mir das sehr zu Herzen gegangen ist, denn mein Vater ist ein stolzer, aufrechter Mann. Sentimentalitäten sind so gar nicht seine Sache. Er musste schon sehr leiden, wenn er mir unerwartet einen Einblick in seine Seele gewährte.“
Dewary schwieg nachdenklich, und Mr. Bishop drängte ihn nicht.
„Andererseits, wer konnte es ihm verdenken? Seine beiden Kinder
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