Das Geheimnis von Melody House
egal, was passiert ist.
Sie konnte es nicht, sondern musste den hinter ihr liegenden Tag wieder und wieder Revue passieren lassen, jede einzelne Minute davon. Ihren Hochzeitstag.
Am Morgen hatte es das übliche Tamtam gegeben. Ihre Mom war vor Rührung alle paar Minuten in Tränen ausgebrochen und hatte ihr Vorträge über die Ehe und den Sex gehalten, die sie total überflüssig fand. Alice, ihre Brautjungfer, hatte sich beim Versuch, den Schleier zu befestigen, zwei ihrer neuen künstlichen Fingernägel abgebrochen, und Sandy, eine andere Brautjungfer, war von dem Champagner, den sie alle zusammen beim Ankleiden getrunken hatten, arg beschwipst gewesen. Die Limousine kam zu spät. Und dann war zu allem Überfluss auch noch die ursprünglich vorgesehene Sopranistin heiser gewesen, sodass sie gezwungen gewesen waren, in letzter Minute Ersatz zu suchen. Aber zum Glück hatten sie durch Father O’Hara ganz schnell diesen irischen Tenor gefunden, und als sie endlich die alte Kirche aus der Revolutionszeit am Stadtrand erreicht hatten, lief doch noch alles wie am Schnürchen.
Nach Aussage ihrer Gäste war es eine der schönsten Hochzeiten gewesen, an denen sie je teilgenommen hatten. Roger sah in seinem Smoking absolut umwerfend aus. Ihr Vater wirkte ausgesprochen stattlich, ihre Mutter schlicht schön. Ihr Bruder und ihre Schwester, beide Mitwirkende der Hochzeitszeremonie, hatten den Tag perfekt dirigiert. Der erste Tanz mit ihrem Bräutigam war magisch gewesen, aber erst als sie sich in den Armen ihres Vaters im Kreis drehte, war ihr bewusst geworden, wie überaus glücklich sie sich schätzen konnte, da sie jetzt nicht nur eine liebevolle Familie, sondern darüber hinaus auch noch einen unglaublichen Ehemann hatte.
Der Hochzeitsempfang würde in den nächsten Monaten Gesprächsthema im ganzen Landkreis sein. Der irische Tenor, der bereits in der Kirche gesungen hatte, hatte ebenfalls teilgenommen. Musikalisch war für jeden etwas dabei gewesen, angefangen von klassischer Musik über Rock und Pop bis hin zu Opernarien. Das Essen war köstlich, die Hochzeitstorte riesig.
Und schließlich waren sie nach der ausschweifenden Feier ins Melody House gefahren. Natürlich war es für sie und Roger nicht neu gewesen, miteinander Liebe zu machen, aber irgendwie war es trotzdem anders und sinnlicher, erotischer und befriedigender, als frisch gebackenes Brautpaar miteinander zu schlafen. Sie waren erhitzt und beschwipst gewesen, und beim Ausziehen lachten sie und alberten miteinander herum, bevor sie kurz unter die Dusche gingen, um sich schnell ins Bett zu kuscheln. Zwischen Küssen und Liebkosungen tranken sie auch noch den Champagner, der in einem eleganten silbernen Eiskübel auf dem antiken Tisch vor dem Kamin stand. Dazu genossen sie den köstlichen kleinen Imbiss, bestehend aus Kaviar, verschiedenen Quiches, Erdbeeren im Schokoladenmantel und vielem anderen mehr. Danach hatten sie sich noch einmal geliebt, mit träger Langsamkeit diesmal, und es war erneut unbeschreiblich schön gewesen. Im Melody House gab es alles, was das Herz begehrte. Morgen früh würde man ihnen in dem sonnigen Wintergarten das Frühstück servieren. Wenn sie Lust hatten, konnten sie den ganzen Tag an dem geheizten Swimmingpool verbringen, der eine relativ neue Errungenschaft des alten Kolonialhauses war. Und bei Sonnenuntergang würden sie vielleicht auf verschlungenen Wegen durch den Wald reiten. Hier konnten sie für sich sein und wurden dennoch nach Strich und Faden verwöhnt. Von daher hatte Jeannie allen Grund, sich rundum glücklich zu fühlen und großzügig darüber hinwegzusehen, dass sie sich schlaflos von einer Seite auf die andere wälzte, während ihr frisch gebackener Ehemann zufrieden vor sich hin schnarchte.
Sie stand leise auf, wobei sie sich so agil und wunderbar geschmeidig fühlte wie eine Katze. Während sie sich streckte, beglückwünschte sie sich wieder einmal dazu, dass sie ihr selbst auferlegtes, hartes Fitnessprogramm in den Monaten vor der Hochzeit regelmäßig abgeleistet hatte – im Moment hatte sie kaum ein Gramm Fett am Leib, eine Tatsache, die Roger auch heute wieder gebührend gewürdigt hatte. Außerdem erwärmte sie sich an dem Gedanken, dass es ihr gelungen war, Matt Stone zu überreden, ihnen dieses nur höchst selten vermietete Zimmer zu überlassen. Und Stone war bekanntermaßen eine harte Nuss.
Auf dem Weg zur Balkontür verzog sie den Mund zu einem halben Lächeln. Roger behauptete, Matt Stone habe
Weitere Kostenlose Bücher